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Auf den ersten Blick

Auf den ersten Blick

Titel: Auf den ersten Blick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Wallace
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denken. »Endlich! Ein vielgereister, gebildeter Connaisseur! Welch Freuden mögen mich erwarten? Wie sind meine Wunderwerke in die Welt der Worte zu übertragen?« Und dann, als der Kellner mit einer regennassen Ausgabe von London Now auf dem Kopf vom U-Bahnhof gerannt kommt, wird dem Koch ganz flau im Magen, und seine Augen brennen, während sich die Worte »Ärgerlich vergessenswert« auf ewig in sein Herz ätzen. Und derweil sein Herz rast und seine Augen glasig werden, kommt ihm gar nicht in den Sinn, dass diese Phrase eigentlich völlig sinnentleert ist, denn wie sollte man sich über etwas ärgern, an das man sich nicht einmal erinnert? Und doch wird alles wieder gut. Morgen Abend werden genauso viele Gäste im Sindbad sein wie heute. Niemanden sonst interessiert es. Selbst mich hat es nur etwa eine halbe Stunde lang interessiert. Aber Mr Sindbad? Mr Sindbad wird diese Worte mit ins Grab nehmen und sich auf dem Weg dorthin gar nicht mehr so richtig wie ein Küchenchef fühlen. Und alles nur dank eines Mannes, der sich nicht mal mehr daran erinnern kann, was er damals bestellt hatte.
    Ich schüttelte das Bild ab.
    »Wo ist es?«, fragte ich.
    Bitte irgendwo zentral. Nicht Harrow oder Uxbridge oder Mudchute. Ich habe überhaupt keine Lust, eine Stunde nach Mudchute zu fahren, um allein bei einem schlechten Italiener zu essen.
    »Charlotte Street«, sagte sie fröhlich.
    Charlotte Street. Da war ich gerade. Gestern erst.
    Blauer Mantel. Hübsche Schuhe. Dieses Lächeln.
    Was wäre gewesen, wenn ich gestern Abend mit ihr gesprochen hätte? Richtig mit ihr gesprochen?
    »Der Tisch ist für sechs Uhr reserviert.«
    »Sechs Uhr? Du musst ja ziemlich wichtige Leute kennen.«
    Sie grinste spöttisch. Ich dachte an unsere Zeiten an der Uni. Wann hatten wir uns verändert? Taten wir immer noch so, als wären wir erwachsener, erschöpfter und verbitterter, als wir wirklich waren? Ich bin mir nicht sicher, wen wir beeindrucken wollten – die Welt oder einander.
    »Du kannst deinen Text abgeben, wann du willst«, sagte sie. »Frag, was sie empfehlen, bestell es, egal was es ist, denk an die Quittung, mach keinen Quatsch und bezahl deine Drinks selbst. Außerdem: Halt dir den Donnerstagabend frei.«
    »Wieso?«
    »Vernissage.«
    »Aber ich verstehe nichts von Kunst.«
    »Ich gebe dir Arbeit!«, sagte sie. »Ich dachte, das wolltest du!«
    Auf der Fahrt nach Hause beschäftigte ich mich mit den CD s und DVD s, die sie mir mitgegeben hatte, und überlegte, wie ich mich über deren Titel lustig machen konnte.
    Als ich wieder in die Wohnung kam, wusste ich, dass da E-Mails auf mich warten würden. Welche, die ich nicht wirklich lesen wollen würde. Welche, die mir sagten, dass ich mich zum Vollidioten gemacht hatte, dass ich endlich erwachsen werden sollte, und andere, die sich um meine geistige Gesundheit sorgten und Sachen sagten wie: »Hey Mann, wenn du jemanden zum Reden brauchst …«
    Ich sah trotzdem nach.
    »Jase …«, schrieb Ben. »Wollen wir uns auf einen Kaffee treffen? Vielleicht sollten wir mal reden.«
    Löschen.
    »Jason, hier ist Anna«, schrieb Sarahs beste Freundin, die nur darauf gewartet hatte, dass diese Verlobung öffent lich wurde, damit sie in der Stadt rumrennen, schreckliche Brautabende organisieren und für alle pinkfarbene Feenflügel kaufen konnte, die sie anziehen sollten, um dann kreischend und krakeelend in jedes einzelne Pitcher & Piano auf dem Weg nach Holloway und dahinter einzufallen. »Ich glaube, Du solltest dich mal eingehend selbst betrachten und vielleicht nicht so viel trinken, denn das viele Trinken ist nicht gesund, Jason. Bier klärt überhaupt nichts, und außerdem solltest Du Sarah und Gareth ihr Leben leben lassen, denn Du hattest Deine Chance und solltest wie ein Erwachsener damit umgehen.«
    Es folgten noch neun weitere Absätze.
    Löschen.
    Und dann … oh-oh.
    Gary.
    »Jason. Hör mal, Kumpel …« Ich zuckte zusammen. Er schrieb »Kumpel«. Er wollte mir kameradschaftlich kommen. Schlimmer noch, er wollte Verständnis zeigen.
    »Sarah weiß nicht, dass ich Dir schreibe, also behalt es lieber für Dich.«
    Selbstverständlich weiß sie es, Gary. Weil du es ihr erzählt hast, und sie meinte, das sei bestimmt keine gute Idee, aber du hast beschlossen, dich darüber hinwegzusetzen, und wahrscheinlich hat sie gesagt: »Mein Gott, genau dafür liebe ich dich. Es ist so toll, mit einem Erwachsenen zusammen zu sein«, und dann hat sie dir beim Schreiben über die Schulter

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