Auf den ersten Blick
was sonst noch. Wonach suchen Restaurantkritiker denn so? Es gab genug Besteck. Zumindest genug Besteck für mich, wenn ich auch nicht wusste, wie ich das negativ auslegen sollte. Und Brot – da stand ein kleiner Korb mit Brot. Vielleicht hätte er ein bisschen größer ausfallen können.
»Die Penne sind ausgezeichnet, und wir haben sehr gutes Kalbfleisch«, sagte der Kellner, der sich bis eben noch vor Lachen den Bauch halten musste, als er merkte, dass der Tisch nicht für den Jason Priestley reserviert war. Ich lachte mit, auch wenn sich der Witz nach zweiunddreißig Jahren ein wenig abnutzte.
»Selbstverständlich haben wir auch Pizza, die beste in der ganzen Stadt …«
»Cool. Was für Pizza?«
»Ich persönlich mag die mit dem dünnen Teig am liebsten, mit frischen Tomaten, etwas Basilikum und Mozzarella …«
»Eine Margherita?«
»Nun … eine Abrizzi’s .«
Eine Margherita schien mir angemessen.
»Dann nehme ich eine Abrizzi’s.«
Der Kellner – der, wie ich in diesem Moment bemerkte, Herman hieß, sodass er eigentlich kein Recht hatte, sich über andere lustig zu machen – marschierte mit meiner Speisekarte los, und ich nippte an meinem Getränk. Ich saß an einem Tisch für zwei, mit Blick aus dem Fenster, und betrachtete die Feierabendmeute, die draußen nach Taxis winkte, auf dem Weg zum Pub. Um sich mit Freunden zu treffen, mit Partnern, um sich zu amüsieren.
Ich brach das Brot.
Aber hey. Es war gar nicht so übel. Vielleicht sah ich für die Leute sogar ein wenig mysteriös aus, dieser einsame, gefährliche Mann, der finster auf die Charlotte Street hinausstarrte. Vielleicht sah ich aus wie ein Auftragskiller, und alle spitzten die Ohren, um mitzubekommen, was wohl ein Auftragskiller so bestellte, und waren dann enttäuscht, dass es nur eine Margherita mit Apfelsaft war.
Doch dann geschah etwas Unglaubliches.
Etwas, das mich das Brot hinlegen und mich aufsetzen ließ. Und dann aufstehen. Und schließlich meine Marghe rita zurücklassen, bevor sie überhaupt gekommen war.
Ich sah sie.
drei
Oder: › › The Woman Comes and Goes ‹ ‹
»Und was ist dann passiert?«, wollte Dev ganz aufgeregt wissen. »Mit der Pizza, meine ich …«
Er nahm einen Schluck von seiner Polo-Cockta und gab einen kleinen Rülpser von sich.
»Ist das dein Ernst?«
»Hast du dich denn nicht weiter darum gekümmert? Hattest du sie schon bezahlt?«
»Dev … das Mädchen. Das Mädchen, Dev.«
»Ja. Tschuldigung. Erzähl weiter. Das Mädchen.«
Denn darum ging es doch. Das Mädchen.
Sie war aus heiterem Himmel aufgetaucht.
Eben starrte ich noch mein Spiegelbild in der Scheibe an und fragte mich, ob ich wohl als Auftragskiller durchgehen würde, und urplötzlich war da eine kleine Bewegung irgendwo im Dunkeln. So klein wie ein Zucken, meilenweit entfernt, aber doch so auffällig, dass es meine Aufmerksamkeit auf das lenkte, was draußen vor sich ging …
Sie kam gerade aus dem Snappy-Snaps-Fotoladen – derselbe blaue Mantel, andere Schuhe, glaube ich – und sah sich um.
Wonach? Nach mir?
Natürlich nicht. Aber nach etwas anderem.
Ich stand auf, fast unwillkürlich, hoffte, ihren Blick aufzufangen, hell erleuchtet in der Fensterscheibe des Italie ners, ihr zuzuwinken in der Hoffnung, dass sie zurückwink te, aber sie konnte mich nicht sehen … und falls doch, hätte sie sich nicht an mich erinnert. Wäre ja auch zu seltsam.
»Hi, ich bin der Typ, der …«
»Du hast mal meine Tüten festgehalten.«
»Ja!«
»Okay, mach’s gut!«
Und dann – schlagartig – fiel es mir ein.
War das Ding noch da? In der Innentasche? Ich klopfte darauf herum.
Ja.
Aufgeregt rannte ich die Charlotte Street entlang, suchte nach ihr, auf beiden Bürgersteigen …
Da!
Sie sah in meine Richtung. Lächelte. Dieses Lächeln. Hielt einen Arm in die Luft, winkte.
Abrupt blieb ich stehen. Sie sah einfach süß aus.
Dann schlich das Taxi, das sie gesucht hatte, an mir vorbei und hielt.
Das war meine Chance. Jetzt oder nie!
»Und hast du?«, fragte Dev mit großen Augen. »Hast du den Moment genutzt?«
Ich stutzte. Und dann …
»Nein.«
Hatte ich auch nicht. Ich war erstarrt, aus welchem Grund auch immer. Die Kamera steckte in meiner Tasche – da in meiner Tasche. Ich hätte sie hochhalten und »Hallo!« rufen und hinrennen und sie ihr geben können. Und vielleicht hätten wir dann ein wenig geplaudert, und sie hätte ein Gläschen Wein vorgeschlagen und ich ein Abendessen, und dann … wer weiß?
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