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Auf den ersten Blick

Auf den ersten Blick

Titel: Auf den ersten Blick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Wallace
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mir, und ich werde dir zuhören, und es scheint, als müsste ich dann nicht bluten, was alles in allem ganz gut wäre, oder? Besonders wenn ich bei dir zu Hause bin und du nicht möchtest, dass ich dir alles vollblute.
    Aber ich verstehe schon. Zuhören ist wichtig.
    Denn das Problem ist – oder war zumindest –, dass man manchmal nichts mehr hört, weil das, was man sieht, derart überwältigend ist.
    Also – ja. Ich werde zuhören.
    Vielen Dank im Voraus.
    Danke!

fünf
    Oder › › Everywhere I Look ‹ ‹
    »Das ist irre«, sagte Dev, als wir zur U-Bahn liefen.
    »Ich weiß«, sagte ich, aber das war auch alles, was ich dazu sagen konnte. Meine Gedanken rasten.
    Ich klopfte meine Tasche ab. Die Fotos waren noch da. Irgendwie waren sie plötzlich kostbar geworden, und ich musste mich unwillkürlich vergewissern, ob ich sie noch bei mir hatte.
    »Nein, ich meine, es ist irre . Total irre. Hast du überhaupt eine Ahnung, wie irre das ist?«
    »Ich weiß genau, wie irre das ist. Es ist irre.«
    »Nein, Mann … es ist vollkommen irre. Das bist du! Da auf dem Foto. Auf dem Bild, das sie gemacht hat, kurz bevor du diese Kamera zum ersten Mal in der Hand hieltst. Was wäre, wenn du den Film nicht entwickelt hättest? Dann würdest du nie wissen, dass …«
    »Was?«
    »Na ja … dass es Schicksal ist, oder? Es sollte so sein. Es war vorherbestimmt!«
    Ich versuchte zu ignorieren, was Dev sagte, aber das fiel mir schwer. Ich war auf diesem Foto. Zumindest eine Hälfte von mir, zwar keine sonderlich schmeichelhafte Hälfte, aber dennoch ich. Saß da, die Zeitung auf dem Tisch ausgebreitet, schaufelte mir eine Wurst in den Mund. Und es war nicht so, als wäre das Café Roma eine meiner Stammkneipen. Es war nicht so, als bestünde eine statistische Wahrscheinlichkeit, dass jemand, der dort um kurz vor sechs an einem Wochentag ein Foto machte, mich dabei erwischte, wie ich eine römische Wurst herunterschlang. Insgesamt war ich vielleicht zweimal dort gewesen, beide Male nach einem einsamen Kinobesuch an der Tottenham Court Road, und diesmal war ich da nur gelandet, weil es mir irgendwie vertraut war und in der Nähe lag und ich Hunger hatte.
    Und doch war ich auf diesem Foto.
    »Jetzt hast du eine Verbindung«, sagte Dev mit leuchtenden Augen. »Wenn sie ’ne Hippiebraut ist, kannst du sie vielleicht davon überzeugen, dass euch das Universum zueinandergeführt hat.«
    »Redest du immer noch?«, sagte ich, aber wir wussten beide, dass ich nur versuchte, lässig zu wirken. Eigentlich war ich eher aufgeregt. Dabei hatte ich gar keinen Grund dafür, rational gesehen. Vermutlich finde ich mich auf den Fotos vieler Leute wieder, die ich gar nicht kenne. Wahrscheinlich sitzt in Osaka gerade eine Familie zusammen und sieht sich eine ausgedehnte Diashow ihrer London-Reise an, und da bin ich, lutsche ein Calippo und blinzle irgendwo im Hintergrund auf dem Trafalgar Square in die Sonne. Vermutlich stehe ich bei tausend Leuten im Hintergrund herum, spät dran, auf dem Weg zur Arbeit, verkatert oder genervt, mit einer Dose Westminster Cola in der Hand, oder ich sehe mir in Hampstead Heath die Mädchen an – eingefangen mit einer Kamera, unsterblich in die Erinnerungen eines fremden Menschen eingebrannt, der einem anderen fremden Menschen über die Schulter sieht.
    Ungewöhnlich ist nur, dass ich eins dieser Bilder zu sehen bekam.
    Ich überlegte, ob das Mädchen mich im Café bemerkt hatte. Denn ich hatte sie nicht gesehen. Ich war zu sehr damit beschäftigt gewesen, meine neuesten Beiträge in London Now zu lesen, und schäumte, weil ich mich ärgerte, dass die Redaktion darauf bestanden hatte, fast alles an meinem Text zu verändern, bis er gar nicht mehr so markant und perfekt war, wie ich ihn haben wollte. Ich aß Kartoffelpüree zu meiner Wurst und trank einen Becher süßen Tee, und ich hatte nachgesehen, was abends im Fernsehen lief. Aber zu keinem Zeitpunkt war mir das Mädchen aufgefallen, und zu keinem Zeitpunkt hatte ich ein Klicken oder Blitzen bemerkt. Falls sie mich bemerkt haben sollte, falls ich in ihrem Leben vom bloßen Statisten zur Nebenrolle geworden war, hatte sie sich davon nichts anmerken lassen, als ich ihr mit den Paketen half. Vielleicht war das ein schlechtes Zeichen. Sie hatte mich überhaupt nicht wahrgenommen. Aber schließlich hatte sie ja auch einen Freund. Einen mit klobiger Uhr. Warum sollte sie mich wahrnehmen? Ich trage eine Swatch.
    Aber was, wenn …? Was wäre, wenn es doch eine Verbindung

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