Auf den ersten Blick
vorbestimmtes Schicksal. Obwohl ich annehme, wenn du nichts tust, wird es dein Schicksal sein, in deiner kleinen Bordellwohnung zu sitzen, in Unterhosen, für immer und ewiglich, und daran bist du selbst schuld. Du hast dir die Gründe ausgesucht, denen du folgst.«
»Wenigstens findest du es nicht schräg.«
»Oh, es ist total schräg. Nein, ich meine, es ist ganz nah an der Grenze zum Stalken, und außerdem ist es doch bestimmt illegal, fremde Fotos zu entwickeln, oder? Aber das war deine Entscheidung, und ich halte mich mit meinem Urteil zurück, bis ich weiß, was passiert.«
Ich sah Dev mit einem Blick an, der sagte: Hab ich dir doch gesagt. Er ging, um sich die Filmplakate anzusehen.
In alten Zeiten war hier an der Kingsland Road ein Auktionshaus gewesen, bis dieses zu einem Art-déco-Kino umgebaut wurde. In den Siebzigern oder Achtzigern wurde daraus das Rio, so wie damals diverse Läden Rio hießen, als Rio das Coolste vom Coolen war. Allerdings hielt es an der Mode fest, während andere sich längst umbenannten. Millennium Taxi unten an der Straße hatte seinen Namen bereits in Hackney Comfort Taxis geändert, nachdem die Begeisterung ob des neuen Jahrtausends ein wenig nachgelassen hatte. Millennium Fried Chicken stand baufällig und schamhaft zu seiner Rechten wie der bucklige Freund einer Schönheitskönigin. Mich verließ der Mut, als ich es sah – das Kino, nicht das verfallene Lokal –, denn das hier war unbestreitbar der richtige Ort für ein Rendezvous.
Wohin hatte ich Sarah ausgeführt, als wir zum letzten Mal im Kino waren? Was hatten wir gesehen? Ich glaube, es war Iron Man 2 . Auf dem Weg dorthin hatten wir Streit, und ich war genervt gewesen, weil sie sich darüber beklagte, dass das Popcorn fast so viel kostete wie die Tickets, und danach hatten wir mehr oder weniger schweigend in einem Nando’s gesessen und kaum ausreichend Begeisterung für einen Kommentar aufgebracht, als draußen ein Betrunkener gegen einen Streifenwagen trat und niedergerungen wurde.
Das Mädchen hatte sicher etwas völlig anderes erlebt. Zum einen war das hier das glorreiche Rio – kein Schuhkar ton im N 1 Centre oben über HMV . Das hier hatte Klasse. Ein Klassiker. Er – der Mann, Chunk oder wie er heißen mochte – hatte sie wahrscheinlich mit seinem Wagen abgeholt – was war es gleich, ein Vegas? – und außergewöhnliche Cocktails in einem antiken Silberflachmann mitgebracht. Er hatte eine Sondervorstellung seines algerischen Lieblingsfilms arrangiert, und sie waren ganz allein im Kino und breiteten eine Picknickdecke im königsblauen Tartan seiner Familie aus, damit sie sich ausstrecken und den Film genießen konnten, im Schein der Notausgangsleuchten. Danach hatte er sie sicher ausgeführt, in eine entspannte Underground-Bar, wahrscheinlich französisch, wahrscheinlich nur für Mitglieder, in der das gut aussehende Personal hinterm Tresen gejubelt hatte, als er hereinspazierte, und das Jazz-Trio in der Ecke spielte ihm zu Ehren ein bestimmtes Lied. Kluge, attraktive Frauen hatten ihm gewinkt, auf eine Art und Weise, die für das Mädchen wohl imponierend, aber nicht bedrohlich war, und er hatte ihr erklärt, sie leiteten die New Yorker Galerie, die ihn dazu bewegen wollte, seine Werke dort auszustellen, oder sie hätten eines seiner Lofts unten an der Themse gemietet, mit Blick auf Big Ben, oder er kannte sie aus seiner Zeit auf Haiti, als er für Ärzte ohne Grenzen dort Kinder behandelt hatte. Und nachdem er ihr eine dieser drei Versionen erzählt hatte, blickte er ins Leere, gequält und eindringlich und unerreichbar, während seine Finger den Rand seines klug gewählten, blutroten Romanée Conti umkreisten, und da hatte sich das Mädchen noch mehr in ihn verliebt.
Klick.
Ich sah Abbey an, die meine Einwegkamera hatte.
»Gutes Bild«, sagte sie und kräuselte ihre Nase. »Du sahst schön mürrisch aus.«
Sie kurbelte den Film weiter. Wie viele Bilder hatten wir jetzt gemacht? Vier? Fünf?
»Sah ich eindringlich aus? Gequält?«
»Nur ein bisschen übellaunig.«
»Ja, aber da stehen Mädchen drauf.«
Sie lachte, dann runzelte sie die Stirn.
»Hey«, sagte sie. »Ich habe versucht, das Bild nachzustellen, ja? Damit deins wie ihrs aussieht. Und ich hab da dieses Plakat im Hintergrund.«
Ich sah hinüber.
»Und?«
»Und wo ist ihr Foto?«
Ich holte es hervor, reichte es ihr. Abbey lächelte.
»Siehst du hier? Hinter ihr? Dieses Filmplakat? Wenn wir rausfinden könnten, wann dieses Plakat
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