Auf den ersten Blick
vertrauenswürdig?«, sagte er und deutete auf sie.
»Nein«, sagte ich.
»Dann will ich es dir trotzdem erzählen. Das Mädchen auf den Bildern ist ein Vampir .«
Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, als wollte er sagen: So, jetzt ist es raus. Ich schob meine Unterlippe vor und nickte, als wollte ich sagen: Ja, ich hatte auch schon so einen Verdacht.
»Oder nicht wirklich ein Vampir, aber eine Besessene. Irgendwie gruftimäßig besessen. Die sind gefährlich, die gruftimäßig Besessenen.«
Ich hielt eines der Fotos hoch. Dev hatte sie für seine große Enthüllung mitgebracht.
»Sie sieht mir nicht gerade aus, als wäre sie gruftimäßig besessen«, sagte ich und deutete auf ihr glückliches Lächeln und die blonden Haare und das Sommerkleid und den gänzlichen Mangel an gruftimäßiger Besessenheit.
»Na, das ist wahrscheinlich die typische Reaktion, die sie von ›Tagmenschen‹ erwarten kann.«
»Warum hältst du sie für einen Vampir, Dev?«, sagte Abbey sehr ernst.
»Das Thema hat sich herauskristallisiert. Überleg doch mal. Sie geht auf Friedhöfe.«
»Sie geht auf Friedhöfe? «, sagte Abbey.
»Highgate Cemetary«, sagte ich zu ihrer Rechtfertigung, als würde ich sie kennen. »Das ist ein beliebtes Ausflugsziel für Touristen.«
»Ja, aber ein Ausflugsziel, das für seine Vampire bekannt ist. Der König der Vampire höchstpersönlich wohnt da – du hast es mir selbst erzählt! Außerdem geht man davon aus, dass Bram Stoker Dracula nach einem Besuch des Highgate Cemetary geschrieben hat.«
»Ja, aber ich bin mir nicht sicher, ob wir das als …«
»Whitby. Dann ist da Whitby.«
»Was ist mit Whitby?«
»Da lässt Bram Stoker seinen Dracula spielen! Begreifst du nicht? Sie ist ein Dracula-Freak. Ein Dracufreak ! «
»Hör mal«, sagte ich ernsthaft, denn ich war mir ziemlich sicher, dass dieses Mädchen, mein Mädchen, das Mädchen, kein Vampir war. »Das sind nur Schnappschüsse, die wahllos aufgenommen wurden. Sie werden mich nicht zu ihr führen, ebenso wenig wie sie uns tiefere Einblicke in ihr Leben gewähren. Und ich habe getan, was ich konnte. Aber heute habe ich bei Abbey was gelernt. Über Schlussstriche und Neuanfänge. Und vielleicht sollte ich genau das tun. Es einfach vergessen. Mich auf meine Arbeit konzentrieren.«
Aber mir hörte keiner zu, denn Abbey wirkte vor lauter Konzentration ganz verloren. Sie hielt ein Foto hoch.
»Hey«, sagte sie. »Hey!«
Wir standen draußen vor dem Rio-Grand-Kino in Dalston.
»Ich wette, sie spielen Dracula-Filme!«, hatte Dev immer wieder gesagt, während wir zu dritt mit dem Bus fuhren.
Tatsächlich spielten sie algerische Filme, wie die großen, roten Buchstaben auf dem Schild anzeigten, und draußen klapperte ein Straßenkehrer mit seinem Besen eine Dose die Straße entlang, ohne uns zu bemerken, die wir dort standen und glotzten.
»Wisst ihr«, sagte Abbey, und eine leichte Brise ließ ihren Pony wehen, »das Einzige, was darauf hindeutet, dass ihr zwei keine schrägen Stalker seid, die diesem Mädchen nachstellen, ist der Umstand, dass einer von euch beiden auf diesen Fotos zu sehen ist. Wäre das nicht der Fall, wäre ich nicht hier. Auch wenn ich darauf bestanden habe, dass wir herfahren.«
»Es ist Schicksal«, sagte Dev und gab sich Mühe, geheimnisvoll zu klingen, wie ein Dichter.
»Es ist tatsächlich Schicksal, oder?«, sagte sie. »Nur dass es gar kein Schicksal gibt. Es gibt Gründe. Und Grün de bewegen uns zum Handeln. Du hast deine Gründe, nach diesem Mädchen zu suchen. Aber nichts deutet darauf hin, dass es dir gelingen wird.«
»Wie meinst du das?«
»Du magst sie. Du hattest diesen Moment. Du dachtest, da wäre was. Du hast dich auf einem ihrer Fotos entdeckt. Alles gute Gründe, sie zu suchen. Und du hast auch eine Ausrede, denn du bist nur ein guter Samariter. Andererseits gibt es auch Gründe, sie nicht zu suchen.«
»Und die wären?«
»Du bist ein Wrack. Du hast die Frau verloren, von der du gehofft hattest, sie wäre die Richtige, weil dir der Verdacht kam, dass sie vielleicht doch nicht die Richtige war, dann stellt sich raus, dass sie die Richtige eines anderen ist, und der hat sie sich geschnappt und geschwängert, und jetzt wohnst du neben einem Bordell bei Dev, und es ist weit und breit nichts Richtiges in Sicht. Nimm’s mir nicht übel, Dev.«
»Da ist überhaupt kein Bordell«, sagte Dev leise.
»Welchen Gründen willst du also folgen? Denn es gibt kein Schicksal, zumindest kein
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