Auf den Flügeln des Adlers
rechnen, einen Geist vor sich zu sehen.
»Michael!«
Wie ein ersticktes Flüstern kam der Name aus ihrem Mund, während sie völlig verblüfft in sein Gesicht starrte.
»Ich dachte mir, dass du dich an diese Worte erinnern würdest«, sagte er sanft, wobei er traurig auf sie herablächelte. »Ich wusste, dass du hier sein würdest. Frag mich nicht, wie.«
Fiona antwortete nicht sofort, so groß war der Schock, den Mann wiederzusehen, den sie einmal über alles geliebt hatte. Seit ihren letzten gemeinsamen Augenblicken im Sommerhaus, nicht weit von dem Strand, an dem sie nun standen, war sie ihm nur einmal begegnet. Damals allerdings hatte man ihn ihr als Michael O’Flynn, einen amerikanischen Waffenhändler, vorgestellt. ’Zwar hatte sie geglaubt, ihren ehemaligen Geliebten, den Vater ihres Sohnes, in ihm wiederzuerkennen. Aber er hatte seine Identität überzeugend abgestritten – allerdings nicht überzeugend genug, um Penelope hinters Licht zu führen. Nun stand er vor ihr, um Jahre älter geworden. Immer noch war seine Nase leicht schief, ein Relikt aus seinen Tagen als Boxer. Sie fand nicht, dass die lederne Augenklappe sein herbes, aber attraktives Gesicht entstellte. In dem verbliebenen blauen Auge lagen der Humor und die Sanftmut, die ihn ihrer Ansicht nach schon immer ausgezeichnet hatten.
»Du bist genauso schön wie damals«, sagte er weich. »Nein, du bist noch schöner als das letzte Mal, als ich dich an diesem Strand gesehen habe. Für dich hat die Zeit stillgestanden.«
Verlegen berührte Fiona ihr Haar, und in ihr Lachen mischten sich ein paar winzige Tränen. »Und du, Michael Duffy, bist immer noch ganz der charmante Ire. Die Zeichen des Alters in meinem Haar sind doch nicht zu übersehen.«
»Silberne Strähnen, wie es sich für eine Lady gehört«, erwiderte er voller Wärme. Sein Lächeln wurde noch breiter. »Deine Schönheit ist alterslos wie das Blau des Ozeans und die Farben der Rose.«
»Ich weiß, dass du lügst, Michael Duffy«, sagte sie zärtlich, während ihr die Tränen in die smaragdgrünen Augen stiegen. »Aber ich würde jedes Wort glauben, das du sagst, weil kein Mann so sanft und liebevoll ist wie du.«
Der Hüne, der Jahre des Krieges und der tödlichen Intrigen überlebt hatte, senkte den Blick und starrte auf die rollenden Wellen, die sich mit sanftem Rauschen auf dem gelben Sand des Strandes brachen. Er wollte nicht, dass sie die Tränen sah, die ihm in die Augen traten, so sehr es ihn auch rührte, dass sie sich an die Seite seines Wesens erinnerte, die er vor der Welt verleugnen musste. Außerhalb seiner Familie kannten ihn die meisten Menschen nur als kampferprobten Söldner.
»Ich habe von der Sache mit Patrick gehört«, stieß er mit erstickter Stimme hervor, während er auf das Meer hinausblickte. »Ich werde ihn finden.« Dann wandte er sich zu ihr um. Der Sonnenschirm entglitt ihrer Hand, als sie die Arme ausstreckte, um Michael an sich zu ziehen.
Sie hielt ihn fest an sich gepresst, während tiefe Schluchzer ihren Körper schüttelten. Es waren Tränen um die verschwendeten Jahre, Tränen um ihren gemeinsamen Sohn, der nun für sie beide verloren war. Ihr Schmerz fand Linderung in einer Umarmung, an die sie sich noch lebhaft erinnerte. Während sie sich an ihn klammerte, strich seine große Hand über ihr Haar, als wäre sie wieder ein Kind in den Armen ihres geliebten Kindermädchens Molly O’Rourke.
Als wären sie in der Zeit zurückgekehrt, saßen Michael und Fiona gemeinsam im Sommerhaus und hielten einander an den Händen. Doch die Leidenschaft war erloschen. Ihre Liebe hatte sich verändert – zu viel war in ihrem Leben geschehen.
»Ich weiß von der Sache mit dir und Penelope«, seufzte Fiona. »Aber ich glaube nicht, dass sie Zugang zu deiner Seele gehabt hat wie ich, nur zu deinem Körper.« Er antwortete nicht, aber wenn er etwas gesagt hätte, hätte er ihr zugestimmt. »Penelope und ich …« Fiona schien nach Worten zu ringen. »Ich liebe Penelope auf eine Weise, die du vielleicht nicht verstehen würdest«, sagte sie schließlich.
Obwohl Michael von der Beziehung zwischen den beiden Frauen wusste, verriet er nichts davon. Besser, sie glaubte, dass einige Dinge auch in seiner schmutzigen Welt der Intrige ein Geheimnis blieben, dachte er schuldbewusst. »Ich verstehe.« Sanft drückte er ihre Hand. »Du brauchst mir nicht mehr zu erzählen, wenn du nicht willst.«
»Ich werde dich immer lieben, Michael«, sagte Fiona leise. »Als
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