Auf den Flügeln des Adlers
Locken erkennen, die ihr über die Schultern flossen. Zu beiden Seiten von ihr standen zwei riesige, zottelige graue Hunde.
»Sieht aus, als würde uns jemand vom Hügel aus beobachten, Eamon«, meinte Patrick beiläufig.
»Jemand mit feuerrotem Haar?«, gab der Priester zurück.
Patrick drehte sich mit fragendem Blick zu ihm. »Können Sie sie sehen?«
»Nein«, erwiderte der Priester ruhig. »Aber es muss Catherine Fitzgerald sein. Sie sucht diesen merkwürdigen Ort oft auf.«
»Ja, ihr Haar ist feuerrot«, bestätigte Patrick, während er sich erneut zu dem Mädchen jenseits des Feldes umwandte. Doch genau in diesem Moment verschwand sie mit den beiden Hunden zwischen den Bäumen. »Oh, sie ist weg«, sagte er ein wenig enttäuscht.
»Ein eigenartiges Mädchen«, meinte Eamon, während sie ihren Weg zum Haus der Fitzgeralds fortsetzten. »Ein Kind der Liebe. Das arme Mädchen ist unehelich geboren.« Etwas verlegen hielt er inne, da ihm die Gerüchte einfielen, die er nach der Morgenmesse gehört hatte. Die Ozeane, die Australien und Irland trennten, waren nicht groß genug, um den Klatsch aufzuhalten. Es hieß, Patrick selbst sei das Produkt einer außerehelichen Verbindung, zwischen einem Katholiken und einer Protestantin.
Für einen Augenblick senkte sich ein verlegenes Schweigen über die Männer. Ihnen war klar, warum ihr Gespräch ins Stocken geraten war. Patrick brach die Stille schließlich mit einer Frage: »Wer sind ihre Eltern?«
»Ihre Mutter war George Fitzgeralds Tochter Elspeth – Gott hab sie selig. Wer ihr Vater war, weiß niemand. Ihre Mutter hat nie darüber gesprochen. Sie starb unmittelbar nach Catherines Geburt. George hat die Kleine aufgezogen.«
Sollte Eamon jemals vergessen, dass er Enthaltsamkeit geschworen hatte, dann wegen einer Frau wie Catherine Fitzgerald. Obwohl sie kaum sechzehn war, ging von ihr eine Sinnlichkeit aus, wie er es noch nie erlebt hatte. »Sie ist ein rechter Wildfang«, seufzte er, »und weder praktizierende Protestantin noch Anhängerin des wahren Glaubens. Angeblich ist sie nicht einmal Christin, sondern Heidin und lebt nach der Religion des alten Irland.«
Es gab da noch etwas, das Eamon nicht ganz verstand und das ihn zutiefst beunruhigte. Etwas, das alle Grenzen seiner religiösen Gelehrsamkeit sprengte. Die Geschichten von Morrigan, der keltischen Fruchtbarkeitsgöttin, kamen ihm in den Sinn, die gleichzeitig Herrin über Krieg und Tod war. Und Patrick? War er nicht die Verkörperung des schönen irischen Helden Cuchulainn? Kopfschüttelnd verdrängte er den merkwürdigen Gedanken.
Ein Rabe stieg aus den Tannen oben auf dem Hügel auf, zwischen denen das Mädchen verschwunden war. Eamon sah, dass Patrick den Flug des Vogels mit den Augen verfolgte. Ein Schauer lief ihm über den Rücken. Hatte sich nicht Morrigan in einen Raben verwandelt und war vor Cuchulainn geflohen, als sie einander begegneten? Ein eiskalter Hauch schien sich plötzlich über die warme Nachmittagssonne zu legen.
Die beiden Männer gingen weiter, an Obstgärten mit Apfelbäumen und Himbeersträuchern vorbei, bis das eindrucksvolle Herrenhaus der Fitzgeralds vor ihnen lag. Es war ein altes Steingebäude mit zahllosen Zimmern, Buntglasfenstern und von Efeu überwucherten Mauern – das Heim einer alten irischen Adelsfamilie, die seit vielen Generationen zu den Mächtigen der Insel zählte.
»Captain Duffy, Ihre Anwesenheit hat im Dorf einige Spekulationen ausgelöst«, sagte George Fitzgerald. Eine Spur von Feindseligkeit und Misstrauen lag in seinem Blick, während er den neben Eamon stehenden Patrick beäugte. »Einige meinen sogar, Sie wollten die Fenier-Bewegung zu neuem Leben erwecken. Es heißt, Sie gäben sich nur als Offizier eines Hochlandregiments Ihrer Majestät aus.«
»Spekulationen gedeihen auf dem Nährboden der Unwissenheit, Mister Fitzgerald«, erwiderte Patrick kühl, ohne den Bruder von Elizabeth Fitzgerald, seiner Großmutter väterlicherseits, aus den Augen zu lassen. »Ich bin tatsächlich Offizier des Zweiten Hochlandregiments und sympathisiere keineswegs mit Rebellen wie den Feniern.«
Eamon O’Brien trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. Offenkundig hatte die Zeit dem Hass nichts von seiner Schärfe genommen – der hoch gewachsene, hagere alte Mann, der sich an dem gemütlichen Feuer wärmte, das in dem riesigen, offenen Kamin brannte, hegte nach wie vor bittere Erinnerungen. War es ein Fehler gewesen, Patrick Duffy ins Haus seines entfernten
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