Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Auf den Flügeln des Adlers

Titel: Auf den Flügeln des Adlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Watt
Vom Netzwerk:
»Piccaninnies«. Das Wort hatte er entlang der Handelsstraßen, die die verstreut lebenden Stämme von Queensland miteinander verbanden, aufgeschnappt. Es war ein Wort des weißen Mannes, das die Ureinwohner übernommen hatten.
    Ben wiederholte die Frage, wobei er mit der Hand die Augen beschattete und suchend um sich blickte. Dann deutete er auf sich. Terituba entnahm der Geste, dass der Mann seine Kinder suchte, was automatisch sein Mitgefühl weckte.
    »Ich habe deine Piccaninnies nicht gesehen«, erwiderte er in der Sprache der Kalkadoon. Obwohl Ben die Antwort nicht verstand, hörte er das Mitgefühl in der Stimme des anderen. Er nickte, als wüsste er, was der Aborigine gesagt hatte. Dann streckte er dem Kriegshäuptling der Kalkadoon seine Hand hin.
    Der hatte die Geste mit neugierigen Blicken verfolgt. Nun antwortete er mit derselben Bewegung, und Ben nahm seine Hand. Er schüttelte sie zweimal, um dem hoch gewachsenen Kalkadoon zu danken. Terituba konnte nur vermuten, dass es sich um einen Gruß unter Gleichgestellten handelte. Es war ein eigenartiges Gefühl, die Hand eines weißen Mannes zu halten, der nicht gekommen war, um ihn zu töten.
    Dann ließ der Weiße, dessen merkwürdiges Totem Iben war, seine Hand los und wandte sich ab. Die Krieger erhoben ihre Speere und rasselten hinter dem Rücken des sich entfernenden Mannes drohend damit. Doch Terituba befahl ihnen, den Weißen ungehindert ziehen zu lassen. Neugierig beobachtete er, wie der Fremde durch das trockene Bachbett ging, während sich die Frauen erneut um den kostbaren Vorrat von süßem Zucker und Mehl stritten.
    Würden sie einander wiedersehen?, fragte sich Terituba, ohne dass es ihm besonders wichtig gewesen wäre, während Ben in der flimmernden Hitze verschwand.
     
    Als Ben sein Pferd erreichte, das er an einen Baum gebunden hatte, begann er unter den Nachwirkungen der ausgestandenen Angst zu zittern. Er lehnte sich gegen die raue Rinde eines Yarran-Baums, von dem das Hartholz stammte, aus dem die Kalkadoon Speere und Bumerangs fertigten. Ben dagegen nutzte es für seine Zaunpfähle und als Brennholz.
    Er hatte sein Leben aufs Spiel gesetzt und gewonnen, weil sich seine Annahme, dass ein Kriegervolk Mut und guten Willen respektierte, als richtig erwiesen hatte. Jetzt wüsste er, dass er ohne Furcht vor einem Hinterhalt nach seinen Söhnen suchen konnte.
    Kurz vor Sonnenuntergang hatte Ben die Spur der beiden wieder aufgenommen. Glücklicherweise hatten sie einen Weg eingeschlagen, der sie vom Bachbett und den dort lagernden Kalkadoon wegführte. Die Spuren führten schließlich in Richtung Hütte, sodass Ben nach Hause ritt.
    Als er sich ihrem Heim näherte, ging die Sonne gerade unter. Das laute Bellen der Hunde beruhigte ihn: So ausgelassen gaben sie sich nur, wenn die Jungen zu Hause waren.
    Doch seine Freude verwandelte sich in kalte Angst, als Willie auf ihn zutaumelte wie ein Scherer, der sich sinnlos betrunken hatte, um die Auszahlung seines Jahreslohns zu feiern. Tränen flossen in Strömen über das Gesicht des jungen Mannes, das von untröstlichem Kummer verzerrt war.
    Mit einem scharfen Tritt spornte Ben sein Pferd an und galoppierte auf den Jungen zu. Willie schrie seinen Namen, und in seiner Stimme lag jene Verzweiflung, die nur der Tod brachte.

4
    Als Patrick am nächsten Morgen erwachte, herrschte schönstes Sommerwetter.
    Die Wolken am Himmel hatten sich verzogen. Während er verschlafen aus dem winzigen Fenster seines Zimmers sah, entdeckte er die wahren Farben Irlands: ein Meer von Grün, aus dem sich heideartiges Buschwerk und in ordentlichen Gruppen stehende, hohe Lärchen erhoben.
    In der Ferne entdeckte er hinter einem glitzernden blauen See einen mit Bäumen bewachsenen Hügel, der sich zwischen den Feldern zu einer kleinen, aber charakteristischen Kuppel wölbte.
    Ein Klopfen riss ihn aus seiner Verzückung. Bevor er antworten konnte, ging knarrend die Tür auf. Eine junge Frau mit rosigen Wangen trat ein, vorsichtig eine große Emailleschüssel mit heißem Wasser balancierend. Sie war etwa sechzehn, und das Funkeln in ihren Augen verriet ihre Belustigung, als sie den jungen, gut aussehenden Mann in langer Unterhose am Fenster stehen sah. Patricks Verlegenheit schien sie nur noch mehr zu amüsieren.
    »Tut mir Leid, dass ich Sie störe, Captain Duffy«, sagte sie, obwohl sie es offensichtlich keineswegs bedauerte, den jungen Offizier in der Unterwäsche ertappt zu haben, »aber mein Vater hat gedacht, Sie wollen

Weitere Kostenlose Bücher