Auf den Inseln des letzten Lichts
können, wer mitmachte und wer nicht. In seinen Augen waren sie als Trio komplett und auf dem besten Weg, das zu finden, was er den eigenen Sound nannte, etwas, das gerade heranreife und durch die quäkenden, in der Volksmusik verhafteten Töne einer Ziehharmonika zerstört würde. Tobey hatte sich von Barry wochenlang breitschlagen lassen, bei Mick ein gutes Wort für ihn einzulegen, und fand, man solle ihn wenigstens vorspielen lassen. Er mochte Barry,der wegen seines Übergewichts noch brutaler schikaniert wurde als er und Mick und Denis Kilduff mit der verkrüppelten Hand. Während sie von den meisten ihrer Mitschüler gemieden und in Ruhe gelassen wurden, konnte Barry nicht einfach in seiner Bedeutungslosigkeit verschwinden wie unter einer Tarnkappe. Trotz seiner für einen Zwölfjährigen überdurchschnittlichen Körpergröße wog er zwanzig Kilo zu viel, was niemanden erstaunte, der wusste, dass er sein bisheriges Leben fast ausschließlich in der Metzgerei seiner Eltern verbracht hatte. Das blonde Haar auf seinem runden Schädel war kurz geschoren und sein Gesicht schwammig und leicht gerötet, als würde es fortwährend von Wellen der Scham durchflutet. Er hatte eine wulstige, feuchte Unterlippe, ein Doppelkinn und Brüste, um die ihn einige Mädchen aus den oberen Klassen beneidet hätten. Alle, selbst die unbedeutenden Erstklässler, die ihre Bücher kaum selber tragen konnten, machten sich über den fetten Barry lustig, und keiner von ihnen musste damit rechnen, dass der Koloss sich wehrte. Sie vertrauten auf Barrys Duldsamkeit, auch wenn einige von ihnen ahnten, dass hinter der weichen Masse aus Schüchternheit und Minderwertigkeitskomplexen nicht Sanftmut verborgen lag, sondern ein dunkler Kern aus Verzweiflung, und dass es besser war, diesen Kern nicht zu berühren.
Beim Vorspielen in Micks Zimmer fiel Barry durch. Er war nervös und schwitzte in seinem Leibchen, auf dem THE CRANBERRIES stand und das er am Vortag gekauft hatte, ohne das Wissen seiner Mutter, die bestimmte, was er anzog. Als erstes spielte er »Alive«, weil er wusste, dass Eddie Vedder, der Sänger von Pearl Jam , eines von Micks Idolen war, danach »Zombie« von den Cranberries . Mick hörte scheinbar interessiert zu und machte sich sogar Notizen, aber Tobey sah, dass er nur so tat, als würde er Barry eine faire Chance geben. Nach den beiden Songs meinte Mick, Barry sei zweifellos gut, das Akkordeon passe jedoch nicht ins musikalische Konzept der Band. Als er ihn zur Tür brachte, sagte er, es sei schade, dass Barry kein Bassgitarrist sei, denn so einen suchten sie. Barry überlegte eine Sekunde lang und antwortete dann, er spiele Bass als zweites Instrument. Das stimmte zwar nicht, aber ganz gelogen war es auch nicht, denn als Neunjähriger hatte er ein paar Monate lang Banjounterricht genommen, bevor sein Lehrer zu seinem Sohn und dessenFrau nach Sligo gezogen war und es niemanden gab, der Barry als Schüler übernehmen konnte. Barrys Großvater Duncan spielte Akkordeon und bot an, seinen Enkel zu unterrichten. Barry war überhaupt nicht begeistert, weder vom Akkordeon noch der Aussicht, jeden Tag eine Stunde oder mehr mit seinem Großvater zu verbringen, der derb und laut war und ihn dauernd damit aufzog, dass Barry, als Spross einer Metzgerdynastie und zukünftiger Geschäftsinhaber, kein Blut sehen konnte und beim Schlachten nicht mit Hand anlegte. Barry war fleißig und mit zwölf besser als sein Großvater. Sie musizierten noch jede Woche mindestens zweimal zusammen im Familienorchester, bei dem sein Vater Metallflöte spielte, seine Mutter Geige und seine ältere Schwester Antonia Querflöte, aber mit den quälend langsam verstreichenden Stunden in Großvaters miefigem Zimmer, den endlosen Wiederholungen langweiliger Lieder, den Zurechtweisungen und kleinen lächerlichen Wutausbrüchen hatte es ein Ende.
Am Tag nach dem Vorspielen bei Mick kaufte sich Barry von dem Geld, das er in den Ferien der letzten Jahre verdient und gespart hatte, einen schwarzen Fender Precision -Elektrobass und einen Fender 400 Pro Combo -Verstärker mit 500 Watt, beides aus zweiter Hand, dazu Notenhefte für Anfänger und Fortgeschrittene und CDs von The Who , Black Sabbath , Queen , U2 und Pearl Jam , um das Spiel von John Entwistle, Geezer Butler, John Deacon, Adam Clayton und Jeff Ament zu studieren. Im Laden arbeitete er nur noch, wenn es unbedingt sein musste, schloss sich in seinem Zimmer ein und übte. Dass er ein Jahr lang Banjo gespielt
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