Auf den Inseln des letzten Lichts
Hüfte gewickelten Tuch und einem gelben T-Shirt voller Farbspritzer, die mit einer großen Rolle eine Wand weiß strich. Ester schien versunken in das Bemalen einer Tür mit blauer Farbe. Sie trug eine über den Knien abgeschnittene Jeanshose, ein Bikinioberteil und auf dem Kopf einen Hut aus Zeitungspapier. Den Lärm verursachte Jay Jay, der mit einer Handsäge Holzlatten zuschnitt. Neben ihm saß Nelson und nahm jede Latte, die auf den Boden fiel, in die Hände und betrachtete sie eingehend, wie um ihre Tauglichkeit zu prüfen.
Als sie Megan sahen, hörten alle auf zu arbeiten und setzten sich in den Schatten der Holztafel, die am Wasserturm lehnte. In der Kühlbox lagen Büchsen mit Cola und Sprite und große Wasserflaschen und in Folie gewickelte Melonenviertel. Nelson hockte sich neben Jay Jay und zupfte sich Holzspäne aus dem Fell, bevor er etwas aß und trank. Er hatte seine eigene Flasche mit Orangensaft und eine Tupperdose voller Apfelstücke.
»Warum hat mir keiner gesagt, dass heute renoviert wird?« Megan trank nichts, sie hatte das lächerliche Gefühl, es nicht verdient zu haben. Sie hätte gerne neben dem Orang-Utan gesessen, hätte gerne seine Hand berührt, sein Fell, die Haut an seinen Fußsohlen.
»Spontaner Einfall von Thor«, sagte Carla.
»Du warst bei Wesley.« Ester hatte den Papierhut abgenommen und schüttete sich kaltes Wasser über den Kopf. Ihre Fingerspitzen waren blau.
»Und wozu das alles?«
Carla öffnete eine Coladose. »Morgen ist Capricorn-Tag.« Sie hob die Dose, als sei das ein Trinkspruch gewesen, und nahm einen langen Schluck. »Jay Jay, erklär es ihr.«
Jay Jay wurde verlegen, schüttelte den gesenkten Kopf.
»Komm schon, es war deine Idee, dein Lieblingsfilm.« Carla stieß ihn leicht gegen die Schulter.
Jay Jay räusperte sich. »Der Titel von dem Film ist ›Unternehmen Capricorn‹. Drei Astronauten, sie sollen in den Weltraum fliegen, aber bevor Start, sie werden aus Rakete geholt und in die Wüste gebracht. Dort, in einer großen Halle, wurde Mond gebaut, wie echt. Im Fernsehen, man erzählt den Leuten, die Astronauten sind auf dem Mond, aber stimmt gar nicht. Alles ist Betrug, wie hier.«
»Verstehe ich nicht.«
»Wir streichen nur die Fassaden«, sagte Ester. »Damit die Häuser aussehen, als seien sie bewohnt.«
»Filmkulissen.« Carla nahm sich ein Stück Wassermelone, wickelte es aus der Klarsichtfolie und biss hinein. Saft lief ihr über das Kinn und den Hals.
Megan erinnerte sich an das, worüber Raske und Malpass gesprochen hatten. »Ein Film?«
Carla nickte und spuckte Melonenkerne zwischen ihre Füße.
»Ja«, sagte Jay Jay. »Ich drehe.« Er strahlte.
»Und für wen ist der?«
»Den Stiftungsrat«, sagte Ester. »Ein paar Leute in Texas, die sehen wollen, was hier so passiert, bevor sie das Geld freigeben.«
Megan brauchte einen Augenblick. »Warum? Es ist Nancy Prestons Geld, oder? Kann sie nicht einfach darüber bestimmen?«
»Offenbar nicht. Hat irgendetwas mit der Stiftung und Steuern und weiß der Geier was zu tun.« Carla warf die Melonenschale in ein Gebüsch, wischte sich die Hände am T-Shirt ab und stand auf. »Und deshalb drehen wir jedes Jahr einen kleinen Film.« Sie streckte sich und ging zurück zu dem Haus, an dem sie arbeitete.
Jay Jay erhob sich ebenfalls. »Komm, Nelson«, sagte er, »Arbeit.« Er nahm den Orang-Utan an der Hand, und zusammen sammelten sie die Lattenstücke vom Boden auf und trugen sie zur Wiese hinter den Häusern.
»Von wie viel Geld reden wir eigentlich?«
»Keine Ahnung«, sagte Ester. »Ich weiß nur, dass davon unsere Löhne bezahlt werden.« Sie stand auf, drückte das Kreuz durch. Ein blauer Farbfleck prangte auf ihrem linken Fuß. Sie trank die Dose aus und setzte den Papierhut auf. Als sie zurück an die Arbeit ging, folgte Megan ihr.
»Kann ich helfen?«
»Du bist Tierärztin«, sagte Carla. »Du hast eine ruhige Hand. Du malst die Hausnummern.«
»Von mir aus.« Megan ließ sich Farbe und Pinsel geben und zog die Konturen der 2 nach, die unter dem weißen Anstrich zu erkennen war.
Am späten Nachmittag hörten sie auf zu arbeiten. Alle zehn Häuser hatten eine weiße Fassade, eine blaue Tür und daneben eine blaue Zahl. Das meiste Unkraut in der Nähe war entfernt und das dürre Gras gemäht. In der Wiese hinter der zweiten Häuserreihe steckten die Profilstangen, die den geplanten Bau von fünf weiteren Häusern vortäuschen sollten. Raske hatte ihnen einen Besuch abgestattet und
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