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Auf den Inseln des letzten Lichts

Auf den Inseln des letzten Lichts

Titel: Auf den Inseln des letzten Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Lappert
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lange.«
    »Eine ganze Weile, ja.«
    »Gibt es niemanden, der zu Hause auf Sie wartet?«
    »Eigentlich gibt es nicht mal ein Zuhause.«
    Nancy zündete sich eine Zigarette an. »Auch keine Familie?«
    »Ich habe einen Bruder.« Megan sah Chester zu, der sich kopfüber an ein Seil hängte und hin und her zu schaukeln begann.
    »Keine Eltern mehr?«
    Megan schüttelte den Kopf.
    »Oh …« Eine Weile paffte Nancy vor sich hin. »Ich bin ein Einzelkind«, sagte sie schließlich. »Leider. Wie heißt Ihr Bruder?«
    »Tobey.« Megan schloss für einen Moment die Augen.
    »Haben Sie Kontakt zu ihm?« Nancy legte eine Hand auf Megans Knie, als diese nicht antwortete. »Liebes, ein Bruder. Ich hätte als Kind alles gegeben für einen Bruder.«
    »Früher war ja auch alles in Ordnung.«
    »Und dann?« Nancy nahm die Hand weg. »Ach, das geht mich gar nichts an. Entschuldigen Sie.«
    Megan lehnte sich gegen die Wand, streckte die Beine aus, bis die Fußspitzen das Geländer berührten. »In einer Ehe würde man sagen, wir haben uns auseinandergelebt.«
    Nancy trank einen Schluck Limonade. »Das kenne ich«, sagte sie, nachdem sie das Glas zurück auf das Tablett gestellt hatte, das neben ihr auf der Bank lag. »Ich war vierzig Jahre verheiratet. Nein, warten Sie … dreißig. Robert, mein Mann, und ich hatten uns während des Studiums kennengelernt. Er Wirtschaft und Politik, ich Jura. Bobby war fünf Jahre älter. Als er fertig war, haben wir geheiratet. Meine Eltern waren sehr reich und nicht unglücklich, dass ich keine Anwältin wurde, sondern Ehefrau. Ein Jahr lang sind Bobby und ich um die Welt gereist, endlose Flitterwochen, eine herrliche Zeit. Dann Hauskauf in Fort Worth. Ich wollte Kinder, er nicht. Er hat es immer aufgeschoben. Und als wir es dann versuchten, klappte es nicht. Irgendetwas mit seinen, Sie wissen schon, Spermien. Na ja, er fing an, immer mehr zu arbeiten, wir sahen uns immer seltener, und mir wurde langweilig in unserem riesigen Haus. Also gründeten wir eine Stiftung, um die ich mich kümmern konnte.«
    »Sind Sie noch verheiratet?«
    »Nein, nein, Bobby ist vor ein paar Jahren gestorben.«
    »Das tut mir leid.«
    »Das Herz. Zu viel Arbeit.« Nancy seufzte.
    »Ich bin geschieden.«
    Nancy sah Megan mit großen Augen an. »Ach, sagen Sie bloß!«
    Megan nickte lächelnd.
    Eine Weile sahen sie Chester zu, der sich inzwischen in eine Hängematte gelegt hatte und dort weiterschaukelte. Wesley saß noch immer unter dem Baum und zupfte versunken an seinem Stoffhasen herum.
    »Es waren doch vierzig Jahre!«, sagte Nancy plötzlich laut. »Nicht nur dreißig! Mein Gott, manchmal denke ich, der Unterricht ist für mich und nicht für die beiden da!«
    Megan lachte. Sie erhob sich und legte die Hände auf das warme Holz des Verandageländers. Der Himmel leuchtete. Er war blau und so tief, dass er die Palmen fast zu berühren schien. Sie sah Ruben und den Labrador, die sich dem Haus näherten, gemessenen Schrittes und mit gesenkten Köpfen, ein betagter Nachtwächter und sein greiser Hund, beide müde vom Ertragen des Lichts.
     
    Am Nachmittag ging Megan zum Labor, aber es war niemand da und die Eingangstür verschlossen. In der Küchenbaracke trank sie ein Glas Orangensaft und aß eine Banane, dann stand sie eine Weile vor Carlas Fenster und horchte vergeblich auf Geräusche. Der erste Mensch, den sie traf, war Miguel, der das Dach des Begrüßungszentrums reparierte. Er stand auf einer Leiter und befestigte ein Stück Regenrinne.
    Megan winkte, als er sich zu ihr umdrehte. »Hallo.«
    Miguel winkte zurück.
    »Sie reparieren das Dach.« Die Feststellung war so plump, dass Megan den Satz in der Sekunde bereute, in der sie ihn aussprach.
    »Ja.«
    Megan stand da, eine Hand als Sonnenschutz an die Stirn gelegt, und überlegte, was sie als Nächstes sagen könnte, während Miguel sie ansah, als wartete er auf die Erlaubnis, weiterarbeiten zu dürfen. An der Wand neben der Leiter lehnten zwei Stück Wellblech, auf dem Boden lagen Holzlatten und Schachteln voller Nägel und Schrauben.
    »Fallen Sie nicht runter!«, rief Megan schließlich.
    »Ja. Nein.«
    Megan winkte noch einmal und folgte dem Weg bis zu den kleinen Häusern neben dem Wasserturm. Die Musik hörte sie schon von weitem, ein scherbelndes Gedudel, wie es hier von sämtlichen Stationen gespielt wurde. Durch die aufgeregte Melodie zog sich ein Missklang, der beim Näherkommen zum Sägegeräusch wurde. Das erste, was sie sah, war Carla in einem um die

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