Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Auf den Inseln des letzten Lichts

Auf den Inseln des letzten Lichts

Titel: Auf den Inseln des letzten Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Lappert
Vom Netzwerk:
Sand.
    »Warum fragst du?«
    »Nur so.«
    Megan setzte sich ebenfalls auf.
    Jetzt, kurz bevor sie hinter dem Horizont verschwand, wurde die Sonne als schwefelgelber Ball sichtbar, nicht ganz rund, wie zusammengedrückt vom Gewicht der Dunkelheit, die sie verdrängte. Dort, wo es schien, als würde sie es gleich berühren, leuchtete das Meer, darüber ragten Wolken auf, azurblau im Innern und an den verwischten Rändern fahlgelb.
    Megans Unterarme und Handrücken waren voller blauer Farbspritzer. Mit etwas feuchtem Sand rieb sie über die Haut. »Liebst du ihn?«
    Esters Kopf fuhr herum und ihre Augen blitzten. »Nein!«, stieß sie hervor und sprang auf die Beine. »Wieso denkst du das?«
    »Ich weiß nicht. Es war nur eine Vermutung. Eine Ahnung.«
    »Aber wie kommst du auf diese Idee?« Ester war so erregt, dass ihr baltischer Akzent durchkam. Sie stand mit geballten Fäusten da, hinter ihrem Kopf erlosch die Sonne und zeichnete für Sekunden eine schimmernde Linie um ihren Körper.
    »Na ja, du warst Studentin, er hat dich hierhergebracht.« Megan erhob sich. »Du bist schön.«
    Einen Moment lang starrte Ester Megan an. Ihr Gesicht war aus Glas,ein Spiegel, den der leichteste Schlag zerbrechen konnte. Sie atmete so heftig wie nach dem Schwimmen. Auf einmal drehte sie sich um und rannte weg, zuerst das Wasser entlang, dann hoch zu den Büschen und Bäumen, die den Sand zurückhielten und ihrerseits vom Sand zurückgehalten wurden, ein schiefer, lückenhafter Zaun zwischen dem Nichts und einem anderen.
    Megan lief ihr nach, rannte quer über den Strand und fiel über sie, als Ester stolperte und stürzte.
    »Geh weg!«, schrie Ester und legte die Arme über den Kopf, als erwartete sie, geschlagen zu werden oder geküsst.
    Megan setzte sich rittlings auf sie, bekam einen Arm zu fassen und dann den zweiten, hielt sie fest und wartete. »Es tut mir leid«, sagte sie, als Ester endlich aufhörte, sich zu winden, und, den Kopf zur Seite gedreht, mit geschlossenen Augen dalag, keuchend, das Gesicht zu einer Grimasse verzogen.
    Das letzte Licht zwischen Tag und Nacht breitete sich über den Strand und mit ihm eine Ruhe, in der sogar Esters Keuchen versank. Danach kam Dunkelheit. Megan beugte sich hinunter, und als eine Haarsträhne Esters Wange berührte, drehte Ester den Kopf und sah sie an. Ihr Gesicht erinnerte noch immer an Glas, jetzt an weiches, flüssiges. Ihr Bauch hob und senkte sich unter Megan, ihre Fäuste waren längst offen, die Finger leicht gekrümmt, wie bereit, nach etwas zu greifen. Ihr Atem traf Megans Lippen. Zwei Sekunden vergingen wie eine Ewigkeit.
    »Es tut mir leid«, flüsterte Megan, löste den Griff um Esters Arme, erhob sich und ging zu den Felsen, wo ihre Kleidung und das Handtuch lagen, zog die Cargohose an und suchte nach dem T-Shirt, fand es nicht und legte sich das Tuch um die Schultern. Dann ging sie auf die Bäume zu und den Pfad entlang, der als heller Fluss zwischen den Ufern der Ebene verlief.
     
    Irgendwann merkte Megan, dass sie keine Ahnung hatte, wo sie sich befand. Trotzdem ging sie weiter in die Richtung, die sie eingeschlagen hatte und von der sie wusste, dass sie falsch war. Einmal erschrak sie, als vor ihr ein Schwein aus dem Dickicht brach und zwischen den Stämmen eines schütteren Wäldchens verschwand. Sie musste an Emma und Holly denkenund rief ihm nach, noch immer heftig atmend, aber das Tier tauchte nicht mehr auf. Der Himmel über ihr war so klar wie an keinem Abend zuvor. Was sich vom Mondlicht nicht in den Weiten des Alls verlor, fiel auf die Welt und lag als dünner Glanz auf den Dingen. Zwischen dem Zirpen der Grillen und Zikaden hörte sie das Quaken von Fröschen, wusste aber, dass es nicht aus dem Teich in der Nähe der Station kommen konnte, die sie weit hinter sich zurückgelassen haben musste. Sie ging durch dichtes, hüfthohes Gras und stellte sich vor, ein Käfer im Fell eines Tieres zu sein.
    Plötzlich war nichts mehr um sie herum, kein Baum, kein Strauch, nur sandiger Boden mit knöchelhohem Gestrüpp und Felsbrocken. Eine Ebene tat sich vor ihr auf, an deren Ende das Meer lag. Megan setzte sich hin. Ihr Magen knurrte, aber der Gedanke an Essen war ihr zuwider. Sie ließ sich auf den Rücken sinken und begann die Sterne zu zählen. Als Kind konnte sie alle Planeten des Sonnensystems hersagen, alphabetisch oder der Größe nach. Tobey hatte sich nur für den Mond interessiert und mit dem Fernglas nach der Flagge gesucht, die von den amerikanischen

Weitere Kostenlose Bücher