Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Auf den Inseln des letzten Lichts

Auf den Inseln des letzten Lichts

Titel: Auf den Inseln des letzten Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Lappert
Vom Netzwerk:
zu schnell. Dann nickte sie. »Ja, das kann ich. Vielleicht nicht unter Wirtschaftsprüfern und Hausfrauen, aber unter Kindern.«
    Tanvir lächelte. »Ich nehme das als Kompliment.« Er senkte den Blick und sah eine Weile auf seine Hände, die er um die Tasse gelegt hatte, wie um sie zu wärmen. Nach einer Weile hob er den Kopf und sah Megan an. »Sie sollten nicht hierbleiben, Megan«, sagte er ernst.
    »Warum nicht?«
    »Bitte verstehen Sie mich nicht falsch, ich finde es wunderbar, dass Sie aufgetaucht sind, und ich bin sicher, Montgomery geht es genauso. Ich genieße Ihre Gesellschaft gerade sehr … Aber die Insel ist kein Ort für Sie. Wir alle hier sind kein Umgang für Sie.«
    Megan lachte, unangenehm berührt, obwohl sie wusste, dass Tanvir keinen Scherz gemacht hatte. »Befürchten Sie etwa, der Virus des süßen Nichtstuns könnte auf mich überspringen?«
    Tanvir drehte die Tasse in den Händen. Es fiel ihm offensichtlich schwer, die richtigen Worte zu finden. Er holte tief Luft, als setzte er zu einer Rede an, blieb dann aber stumm.
    »Beruhigt es Sie, wenn ich Ihnen verspreche, dass ich an jedem Tag, den ich auf der Insel verbringe, arbeiten werde?«
    »Was denn? Es gibt nichts zu tun, das haben Sie doch gesehen.«
    »Das ist nicht wahr. Es gibt Nelson und Montgomery und Chester und Wesley.«
    »Ach, die Primaten …«, sagte Tanvir, als habe Megan ein leidiges Thema erwähnt.
    »Ja. Wie ich es sehe, kann Nancy ein wenig Unterstützung gut gebrauchen.«
    Tanvir hob die Hände an und ließ sie auf die Tischfläche zurückfallen. »Ihr Entschluss scheint festzustehen.« Resignation und Unmut schwangen in seiner Stimme.
    »Ja«, sagte Megan, »ich bleibe.« Die Bestimmtheit, mit der sie diese dreiWorte ausgesprochen hatte, überraschte sie selbst; vor ein paar Stunden hätte sie sich nicht vorstellen können, ernsthaft über einen solchen Entschluss nachzudenken, geschweige denn ihn zu fassen. Jetzt, wo dieser Schritt getan war, fühlte sie sich etwas besser, weniger verloren an diesem seltsamen Ort, der sie weder empfangen noch abgewiesen hatte und wo sie für eine Weile als eine andere zu leben versuchen würde.
    Tanvir atmete geräuschvoll ein und aus, und es klang wie ein Seufzer, der etwas Verpasstem galt, etwas, das nicht wiedergutzumachen wäre. Er schloss für einen Moment die Augen. Dann öffnete er sie und sah Megan an. »Versprechen Sie mir, nicht meinem Beispiel zu folgen und zumindest in Erwägung zu ziehen, die Insel bald wieder zu verlassen.«
    »Versprochen«, sagte Megan. Um die Stille, die eintrat, zu übertönen, zog sie die Kurbel am Radio auf und schaltete es ein.
     
    Mitternacht war längst vorbei, als Megan auf ihre Unterkunft zuging. Hinter Miguels Fenstern brannte erwartungsgemäß kein Licht mehr, aber Ester schien noch wach zu sein. Für eine Sekunde war Megan versucht, an die Tür zu klopfen, vor der ein Paar weißer Turnschuhe stand, aber dann ließ sie es bleiben und betrat ihr Zimmer. Auf dem Boden lag ein Blatt Papier, und sie machte das Licht an, um die beiden in akkuraten Druckbuchstaben geschriebenen Sätze zu lesen: MORGEN FRÜHSTÜCK UM 11 UHR. DARF ICH AUF SIE ZÄHLEN? Darunter standen zwei Buchstaben, T und R, Torben Raske. Megan zog sich aus, putzte die Zähne und stellte sich unter die Dusche. Wie immer kam erst nur wenig Wasser aus dem Brausekopf, und es war warm und bräunlich und roch nach Moder und schwach nach Chlor. Als endlich mehr Wasser floss, reckte Megan ihm das Gesicht entgegen und schüttelte den Shampoorest aus der kleinen Flasche mit dem Logo des Hotels, das ihr schon wie die Erinnerung an eine ferne Welt erschien.
    Plötzlich zu müde, um sich die verworrenen Haare zu kämmen, legte sie sich aufs Bett. Sie hatte Tanvir noch so vieles fragen wollen, dann aber wie er geschwiegen und immer wieder den Akku des Radios aufgeladen und der fast unmerklich schleppenden, wie aus einem Grammofontrichter hallenden Musik gelauscht, Bratschen und Oboen, einem Flügel, letzten Signalen einer untergehenden Kultur. Sie hatte angefangen zuweinen und es nicht gemerkt, und Tanvir war völlig verwirrt neben sie getreten, um ihr vorsichtig und für einen sehr kurzen Moment die Hand auf die Schulter zu legen, und sie hatte gesagt, es sei alles in Ordnung, es sei die Musik, die sie rühre. Er hatte aus dem Schrank, diesem Vorratsraum der tröstlichen Dinge, eine Dose geholt, in der vier runde, mit dunkler Schokolade überzogene Kekse lagen, jeder so groß wie der Kreis,

Weitere Kostenlose Bücher