Auf den Inseln des letzten Lichts
wollte sterben …« Tanvir schien diese Möglichkeit abzuwägen. Er legte die Hände auf den Tisch, griff nach seinem Löffel und betrachtete ihn mit krauser Stirn, als sei im Blech eine Nachricht eingestanzt, eine Antwort. »Sie war doch tot, oder?«, fragte er plötzlich.
»Sie lebte noch eine Nacht und einen halben Tag.«
Tanvir stand auf, nahm die Teller und Kokosnussschalen und das Besteck vom Tisch und ging hinaus. Er blieb eine Weile weg, Megan konnte ihn hören. Als er zurückkam, hielt er eine dampfende Kaffeekanne in der Hand. Er stellte zwei Tassen und ein Marmeladenglas mit Zucker auf den Tisch. Nachdem er beide Tassen gefüllt hatte, holte er einen Löffel, schraubte den Deckel vom Marmeladenglas und steckte den Löffel in den Zucker.
»Danke.« Megan zog eine Tasse zu sich heran.
»Ich beneide Sie. Trotz dieses Erlebnisses.«
Megan sah Tanvir an.
»Sie waren auf Borneo. Sie haben etwas für die Orang-Utans dort getan.«
»Ich habe auf einem Turm die Fragen von Leuten beantwortet.«
»Carla sagte, Sie seien die Leiterin der veterinärmedizinischen Abteilung gewesen.«
»Carla redet mit Ihnen?«
Tanvir konnte seine Verlegenheit nicht verbergen. Er schaufelte drei Löffel Zucker in den Kaffee und rührte um. »Sie ist die Einzige.«
Megan nickte. »Carla ist in Ordnung.«
»Das ist sie.«
»Ester auch.«
»Ja. Aber viel zu jung.« Tanvir legte den Löffel auf den Tisch. »Für mich.« Er kicherte, dann räusperte er sich.
Megan lächelte. Sie nahm den Radioapparat in die Hand und drehte an der Kurbel. Dann schob sie einen Schalter auf ON. Der Empfang war schlecht oder der Sender nicht richtig eingestellt, und die Musik drang verzerrt und von sphärischem Rauschen überlagert aus dem Lautsprecher. Eine Frauenstimme war zu hören, eine Trompete, verweht und vage, dazu das leise schleifende Geräusch der Kurbel. So hatte es geklungen, wenn Tobey das Radio in der Küche angedreht hatte, während vom Meer ein Sturm nahte.
»Ich habe Raske belogen«, sagte Megan, als nach ein paar Minuten die Kurbel auf der Rückseite des Apparates stillstand und die Musik abbrach. »Damit er mir einen Job gibt.«
Tanvir grinste. Wenn er trank, schlürfte er.
»Eine richtige Tierärztin bin ich auch nicht. Ich musste mein Praktikum in einem Schlachthof machen und habe alles hingeschmissen.«
»Ich bin zwar wirklich Arzt, aber bei einer wichtigen Prüfung habe ich geschummelt.«
»Immerhin haben Sie die Approbation.«
»Ein Stück Papier.«
»Ohne das man nicht praktizieren darf.«
»Sie praktizieren doch.«
Megan lachte trocken. »Oh ja, stimmt, das ist bis jetzt der Höhepunkt meiner Karriere.«
»Sie hatten es sich hier anders vorgestellt, nicht wahr?«
Megan trank einen Schluck Kaffee, der noch immer sehr heiß war. »Zugegeben, ein wenig enttäuscht bin ich schon. Andererseits sollte ich froh sein, dass es IPREC so schlecht geht und die Station auf Leute wie mich angewiesen ist.«
»Ich will ja nicht die Tatsache in Abrede stellen, dass Sie hier in gewisser Weise gebraucht werden, aber ich glaube, Raske hat Sie vor allem deshalb bleiben lassen, weil Sie morgen in seinem Film auftreten sollen.«
»Sie meinen, er wird mich wegschicken, wenn der Film fertig ist?«
»Nicht unbedingt, nein. Aber es wird nicht viel für Sie zu tun geben. Niemand hier hat viel zu tun.«
»Damit kann ich leben. Es überrascht Sie vielleicht, aber mir gefällt es auf der Insel.«
»Oh, das überrascht mich keineswegs. Der Ort hat seinen Reiz, zweifellos.« Tanvir blies in seine Tasse und trank einen Schluck. »Allerdings besteht die Gefahr, dass man nach einer gewissen Zeit der relativen Untätigkeit in einen Zustand verfällt, den ich als sorgloses Versteckspiel vor der Wirklichkeit bezeichnen würde. Oder, wenn ich es etwas weniger schmeichelhaft ausdrücken sollte, als ein verantwortungsloses Dahinvegetieren unter Palmen.«
»Verantwortungslos gegenüber wem?«, fragte Megan. »Sich selbst? Der Gesellschaft?«
»Sich selbst natürlich. Der Begriff Gesellschaft verliert hier unweigerlich jegliche Relevanz. Selbst der Gedanke an einen Wiedereintritt in die menschliche Gemeinschaft, in ein soziales Gefüge, wird hier mit jedemJahr absurder. Sehen Sie mich an, sehen Sie sich um.« Tanvir breitete die Arme aus. »Können Sie sich mich in der Zivilisation vorstellen? Unter Hausfrauen, Wirtschaftsprüfern, Kindern?« Er ließ die Arme jäh sinken, als erübrigte sich eine Antwort.
»Ja«, sagte Megan, vielleicht etwas
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