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Auf den Inseln des letzten Lichts

Auf den Inseln des letzten Lichts

Titel: Auf den Inseln des letzten Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Lappert
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und bat sie um einen Gruß nach Texas.
    Vier Stunden nachdem der Trupp die Villa betreten hatte, verließ er sie wieder. Inzwischen war es halb zehn, der Himmel schwarz und die Luft lau und spürbar bewegt von einer schwachen Brise. Vor dem Laborgebäude trafen sie Miguel, der vom Strand kam und Nelson in Empfang nahm. Raske bedankte sich kurz bei allen und zog sich dann mit Malpass und Jay Jay in einen der Räume zurück, um die digitalen Aufnahmen zu sichten. Weil Tanvir noch immer auf Chester und Wesley aufpasste, bot Megan an, Montgomery für eine Weile zu sich zu nehmen. Carla, müde und trotzdem aufgekratzt, verkündete, sie ginge in die Küchenbaracke, um ein paar Flaschen Bier zu kippen. Sie trug noch immer die mintgrüne Krankenhausuniform und eine Perücke mit langen braunen Locken und war enttäuscht, als niemand sich ihr anschloss. Alleine machte sie sich auf den Weg, verschwand in der Dunkelheit und sang auf Spanisch ein Lied, das rauh und spöttisch klang.
     
    Kurz nach Mitternacht kam Tanvir, um Montgomery abzuholen. Megan, Ester und der Bonobo hatten das Obst, mit dem Rosalinda jeden Tag die Holzschalen in den Zimmern füllte, gegessen und danach mehrere Partien Memory gespielt. Ester hatte die Karten aus ihrem Zimmer geholt, nachdem Montgomery sie darum gebeten hatte, indem er erst ihren Armberührte und dann imaginäre Karten wendete. »Memory?«, hatte Ester gefragt, und Montgomery hatte genickt und in die Hände geklatscht.
    Ester lag schlafend auf dem Bett, umgeben von doppelten Äpfeln, Bananen, Kokosnüssen, Blumen, Bäumen, Muscheln, Fischen, Seesternen, Tassen, Löffeln, Brillen, Sonnen, Häusern, Bällen, Hosen, Leibchen, Schuhen, Käfern, Eidechsen, Schmetterlingen. Eine Karte hielt sie in der Hand, ab und zu bewegten sich ihre Finger im Traum, langsam, nicht flatternd wie während des Spiels, wenn sie unentschlossen über der zweiten, noch aufzudeckenden Karte geschwebt waren, nur um erneut die falsche zu wählen.
    »Ich begleite Sie«, sagte Megan und zog leise die Tür zu.
    »Wollen Sie nicht bei ihr bleiben?«
    »Nein.«
    Tanvir ging zum Weg. Montgomery wartete auf Megan und griff nach ihrer Hand, als sie den Arm ausstreckte. Sie ließen die Lampen der Behausungen hinter sich und überquerten das mondlichthelle Feld. Insekten stiegen aus dem kurzen struppigen Gras und die langgezogenen Töne von Grillen. In einer Bodensenke hatten sich große Mengen verwelkter Blüten gesammelt, die im Halbdunkel wie aus Papier gefaltet aussahen, und Montgomery blieb stehen und wies Megan auf die Schönheit dieses Anblicks hin.
    »Wie war er beim Memory?«
    »Er hat gewonnen. Alle zehn Partien.«
    Tanvir senkte die Stimme. »Er betrügt, wussten Sie das?«
    »Was? Wie?«
    »Er ist ein sechsjähriges Kind, das sich als Bonobo verkleidet hat.« Tanvir lachte. »Sie sollten Ihr Gesicht sehen.«
    Megan wurde bewusst, was für eine einfältige Miene sie machte, ging weiter und zog Montgomery mit sich.
    Tanvir kicherte und folgte ihr. Fledermäuse flogen über ihre Köpfe, segelten hin und her kippend ans Ende des Feldes und tauchten ins Dunkel des Wäldchens. Megan und Tanvir schwiegen. Am Himmel blitzten Sterne, nur um sie daran zu erinnern, dass diese Insel im Weltraum trieb und verloren war. An einem Stamm mit einer Borke hell wie vergilbtes Papier liefen Ameisen im kühlen Schutz der Nacht. Megan mochte dasGeräusch, das beim Gehen durch das Gras entstand, ein kratziges Reiben, eine Bürste in Sams Fell. Sie sagte es Tanvir, weil sie ihm zeigen wollte, dass sie nicht eingeschnappt war. Er fragte, welche Tiere es auf dem Bauernhof gegeben habe und ob sie glücklich gewesen sei als Kind. Ja, sagte sie, für eine lange Zeit, eine viel zu kurze Ewigkeit sei sie glücklich gewesen. Sie gingen nebeneinander durch die Dunkelheit, und als Megan nichts mehr sagte, fragte Tanvir auch nichts mehr. Bevor sie den Pfad zwischen den Bäumen betraten und die Schweine grunzen hörten, schaltete er die Taschenlampe ein.
    Vor dem Haus machte Tanvir ein neues Feuer im Herd und setzte einen Topf Wasser auf. Drinnen räumte er Notizhefte und mehrere Bücher von einer Bank an der Wand und bereitete aus einem Polster, einem Kissen und einer Decke ein Bett für Montgomery. Er entschuldigte sich wegen der Hitze und erzählte etwas von einem kaputten Generator und fehlenden Ersatzteilen.
    Der Bonobo setzte sich an den Tisch und begann mit einem Stift auf einem Blatt Papier zu zeichnen, als wollte er deutlich machen, dass er noch

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