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Auf den Inseln des letzten Lichts

Auf den Inseln des letzten Lichts

Titel: Auf den Inseln des letzten Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Lappert
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alles.«
    Ester stand einen Augenblick lang ratlos da, dann rückte sie vor dem Spiegel die Perücke zurecht, setzte die Brille auf und verließ den Raum.
     
    Es war später Nachmittag, als Miguel die Statisten mit dem Boot zurück auf ihre Insel brachte. Sie hatten einheimische Angestellte gespielt, Gärtner, Putzfrauen, Laborhilfen. Als Betreuerinnen eingekleidete Frauen waren mit Schimpansen und Bonobos an den Händen durchs Bild gegangen, eine durfte sich sogar an einen Tisch setzen und durch ein Mikroskop auf ein leeres Glasplättchen starren. Ein alter Mann, der die Würde eines Professors ausstrahlte, stand kostümiert mit einem weißen Kittel neben dem Laborgebäude und tat, als seien er und Malpass in ein Gespräch vertieft, während im Vordergrund Raske ein paar Fragen an die sich selbst spielende Carla richtete. Zuletzt wurden fünf Männer inAnzüge gesteckt und als Lokalpolitiker ins Besucherzentrum geführt, das jedoch nie von innen zu sehen war, und weiter ins Laborgebäude, wo Megan, Ester, Carla, Malpass und Tanvir rege Betriebsamkeit simulierten. Alle Statisten bekamen außer Geld vier T-Shirts mit dem IPREC-Schriftzug und ein Erinnerungsfoto mit Nelson, der sich dafür einen Strohhut und eine Sonnenbrille aufsetzte.
    Megan hatte ihre drei Rollen gespielt, so gut sie konnte. Sie hatte sich große Mühe gegeben, dreimal wie ein völlig anderer Mensch auszusehen, hatte sich helle und sonnengebräunte Haut geschminkt und Augenfältchen und die Sommersprossen ihrer Kindheit. Zwischen den Perücken, in einer Schatulle, lagen verschiedenfarbige Kontaktlinsen, falsche Wimpern und sogar Zähne. In den Verkleidungen war sie sich auf eigenartige Weise vertraut vorgekommen statt fremd, hatte sich staunend im Spiegel angesehen. Raske hatte ihr ein Blatt Papier mit den maschinengetippten Fragen und Antworten und eine Stunde Zeit zum Auswendiglernen gegeben. Als Megan O Flanagan hatte sie noch mehrere Anläufe gebraucht, bis sie ihren Text fehlerfrei in die Kamera, die Jay Jay auf sie richtete, sprechen konnte, aber danach ging es besser, und für die Rolle der Edwina Carmichael redete sie sogar mit einem leicht blasierten Akzent, der ihr aus der Londoner Zeit in Erinnerung geblieben war. Sie untersuchte Wesleys Bein und legte ihm die Schiene wieder an, sie leuchtete mit einer Lampe in Nelsons Augen und in Chesters Rachen, und sie horchte Montgomerys Herz ab, das laut und schnell für sie schlug. Sie sah Carla zu, die eine schwarze Kraushaarperücke und eine riesige Sonnenbrille trug und sich den Busen mit Stoff vergrößert hatte, und sie lauschte Ester, aus deren Englisch sie etwas Kindliches, mit ernstem Fleiß Gelerntes heraushörte, eine unvollkommene Perfektion, die sie rührte.
    Jetzt ging sie, abgeschminkt und in ihrer eigenen Kleidung, auf das Haus von Nancy Preston zu. Alle waren dabei, außer Miguel, der die Statisten nach Hause schipperte, und Tanvir, der auf Raskes Geheiß Chester und Wesley im Laborgebäude beaufsichtigte. Sie sahen aus wie die müde Crew eines Films mit mickrigem Budget. Jay Jay, noch immer gutgelaunt und die Kamera geschultert, ging voraus. Carla, Ester und Megan folgten ihm in einigem Abstand. Das Licht war schon abendlich mild, die Hitze beinahe verflogen. Carla und Ester trugen einen Karton mit Krankenhauskleidungund Perücken, Megan hielt Montgomery an der einen und Nelson an der anderen Hand. Raske und Malpass waren zurückgefallen. Malpass war müde, er schwitzte und hatte sich ein feuchtes Handtuch um den Hals gelegt. Er redete während des Gehens auf Raske ein, leise und zischend, unterbrochen von kurzen Pausen, in denen er Atem holte.
    Raske schwieg. In den vergangenen sieben Stunden hatte er genug gesagt, hatte Anweisungen gegeben und wie der Moderator einer Reportage in die Kamera gesprochen, ernst und souverän und mit dem sparsam eingesetzten Lächeln eines Mannes, der sich der positiven Wirkung seiner Worte gewiss ist; der weiß, dass Text und Tonfall und Bildauswahl schon in den Jahren zuvor genau so funktioniert hatten und sich daran nichts ändern würde; der weiß, dass er Verfall und Auflösung ausblenden und den vorzeigbaren Rest in etwas verwandeln konnte, das der Stiftungsrat in Texas als romantische Einfachheit verklärte, als spartanische, von wissenschaftlichem Eifer befeuerte Glückseligkeit, in der das Reine, Gute und Nützliche gedieh. Es ließ sich schwer sagen, ob er Malpass ignorierte, in Gedanken versunken war oder des Zuhörens überdrüssig. Sein

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