Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Auf den Inseln des letzten Lichts

Auf den Inseln des letzten Lichts

Titel: Auf den Inseln des letzten Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Lappert
Vom Netzwerk:
und hier. Heute musste sein dritter Tag auf der Insel sein. Ein Ruck ging durch ihn hindurch. »Wie spät ist es?«, rief er und erhob sich hastig.
    Tanvir lachte laut auf. Dann hielt er Tobey beide Unterarme hin. »Auch die Zeiten der Zeitmessung sind vorbei.«
    Als Tobey stand, wurde ihm schwarz vor den Augen. Er stützte sich mit den Händen auf der Liege ab.
    »Geht es?«, fragte Tanvir.
    »Ist es schon Abend?«
    Tanvir kicherte. »Beantworten Sie eine Frage immer mit einer Gegenfrage?«
    Tobey ging zur Tür und wollte auf den dunklen Flur treten, aber der ältere der beiden Philippinos stellte sich ihm in den Weg. Er trug ein verwaschenes rotes T-Shirt und lange hellbraune Hosen, an den Füßen Turnschuhe. Er sah über Tobeys Schulter zu Tanvir, als erwartete er dessenAnweisung, was jetzt zu tun sei. Tobey dachte daran, den Mann, der einen halben Kopf kleiner und zwanzig Kilo schwerer war, wegzustoßen und davonzurennen, ließ es aber bleiben. Ihm war schwindlig, und in dem düsteren Flur wäre er vermutlich keine zehn Meter weit gekommen.
    »Wo wollen Sie denn hin?«, fragte Tanvir, der hinter Tobey getreten war.
    »Weg«, sagte Tobey.
    »Aber wohin? Und wie?«
    »Ich werde abgeholt. Mit dem Boot.«
    »Und wer holt sie ab?«
    Tobey sagte nichts mehr. Womöglich hatte er schon zu viel verraten, dachte er. Er überlegte fieberhaft, was genau er mit dem jüngsten der drei Männer, der etwas Englisch konnte, ausgemacht hatte, ob sie ihn am Abend des dritten Tages abholen sollten oder nach Ablauf von drei vollen Tagen, also am vierten Tag, heute, und ob sie verstanden hatten, dass er am Abend am Strand neben dem Schiffswrack warten würde und nicht am Morgen. Er hatte mit der Hand eine sinkende Sonne beschrieben und ein Zifferblatt mit Zeigern in den Sand gezeichnet, weil ihm die Armbanduhr Tage zuvor gestohlen worden war, am helllichten Tag auf der Toilette einer Bar in Manila. Er hätte einen Pfeil zeichnen sollen, dachte er, neben der Sonne nach unten, auf den Horizont weisend. Er glaubte sich daran zu erinnern, dass alle drei Armbanduhren getragen hatten, und ihm wurde elend vor Ärger über das Versäumnis, kein Datum mit ihnen ausgemacht zu haben.
    »Sie müssen hungrig sein«, sagte Tanvir. »Und durstig.«
    Tobey schüttelte den Kopf, wehrte sich aber nicht, als der ältere der Philippinos ihn am Arm nahm und langsam durch den Flur führte. Er hörte das Geräusch ihrer Schritte auf dem Betonboden, von dem ein kühler, erdiger Geruch aufstieg. Aus den Augenwinkeln sah er Türen, alle geschlossen. Nach ein paar Metern wurde der Flur zu einer düsteren Röhre aus Wellblech. Wasser floss an den Wänden herunter und verschwand in Gullys. Als sie an eine Treppe kamen, hakte sich auch der jüngere Mann bei ihm unter und half ihm nach oben und durch eine offene Luke ins Freie. Tanvir kam als Letzter hoch, klappte den Lukendeckel zu und sperrte ihn ab. Der ältere Philippino ließ Tobey los und tarnte den Einstieg sorgfältig mit Erde, Laub und Zweigen. Tobey blinzelte ins Lichtund sah Bäume vor sich, dünne, helle Stämme, dahinter fahlen Himmel. Ein Windstoß strich über ihn hinweg, und er sog die klare Luft tief in die Lungen ein.
    Nachdem sie ein paar Meter zwischen den Bäumen gegangen waren, wurde Tobey klar, dass sie sich am Fuß eines flachen Hügels befanden. Für Sekunden glaubte er, zwischen den Bäumen das Meer zu sehen, und abermals ergriff ihn Entsetzen beim Gedanken, dass die Männer möglicherweise in diesem Augenblick ihr Boot ans Ufer zogen und sich hinsetzten, um auf ihn zu warten. Er entwand sich dem Griff des jungen Mannes und rannte los, stolperte aber schon nach wenigen Schritten und fiel hin. Weil er keine Kraft in den Armen hatte, um den Sturz abzufangen, prallte er mit dem Kinn auf die vom Regen feucht und glitschig gewordene Erde. Er spürte, wie seine Zähne sich ins Fleisch der Zunge gruben, und hörte das dumpfe Geräusch der aufeinanderschlagenden Kieferknochen. Wasser schoss ihm in die Augen, und er schmeckte das eigene Blut im Mund. Dann wurde er an beiden Armen gefasst und auf die Beine gestellt.
    »Wo wollen Sie denn hin?«, fragte Tanvir halb belustigt, halb verärgert. »Und wie? Schwimmend?«
    Tobey antwortete nicht. Tränen liefen ihm über das Gesicht, seine Zunge pochte im rasenden Takt des Herzschlags.
    Die beiden Philippinos standen neben Tanvir, der jüngere ratlos und verlegen, der ältere angespannt und bereit, Tobey zu packen.
    »Ich schlage Folgendes vor«, sagte

Weitere Kostenlose Bücher