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Auf den Inseln des letzten Lichts

Auf den Inseln des letzten Lichts

Titel: Auf den Inseln des letzten Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Lappert
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Tanvir mit ruhiger Stimme. »Wir gehen jetzt an einen Ort, wo ich Sie nochmals verarzten kann und wo Sie etwas zu essen und trinken bekommen. Wenn Sie sich ausgeruht haben und in der Lage sind, den Gedanken an Flucht für einen Moment zu verdrängen, können Sie mir ja erzählen, warum Sie auf dieser Insel sind, wer Sie hierhergebracht hat und wie Sie sich Ihre Rückreise vorstellen.«
    Tanvir wartete einen Augenblick, und als Tobey den Kopf gesenkt hielt und noch immer nicht antwortete, nahmen ihn die beiden Philippinos in die Mitte, ergriffen seine Arme und marschierten los. Hin und wieder krächzte ein Vogel und stob flatternd durch die belaubten Äste, im Unterholz raschelten kleine Tiere, unsichtbar. Einen Weg schien es nicht zu geben, nicht einmal einen Pfad. Tobey gab sich keine Mühe,nicht hinzufallen. Er bewegte die Beine, aber er verließ sich auf die beiden Philippinos, die ihn stützten und auffingen, wenn er auf den nassen Blättern ausglitt. Er trottete zwischen ihnen, das Kinn auf der Brust, ihr Atmen in den Ohren, ihren Geruch in der Nase, und mit jedem Schritt, den er machte, mit jeder Minute, die verging, war es ihm gleichgültiger, was ihn erwartete. Zu den Männern mit dem Boot würde er es nicht schaffen, selbst wenn heute tatsächlich der Tag war, an dem sie kamen, um ihn zu holen. Das Licht verschwand fast unmerklich, es gab keine Sonne, die hätte untergehen können. Ein Geräusch, das von weit her an seine Ohren drang, mochte das Tuckern eines Bootsmotors sein oder das dumpfe Quaken aus einem Froschtümpel. Er redete sich ein, es sei ihm egal. Mit halbgeschlossenen Augen wiederholte er stumm, es kümmere ihn nicht mehr.
     
    Sie erreichten eine mit Sträuchern und hüfthohem Gras bewachsene Ebene und blieben stehen, um auf Tanvir zu warten, der Steine aus seinen Sandalen geschüttelt hatte und zurückgeblieben war. Das Gras bewegte sich im Wind. Falter schwebten darüber hinweg, tauchten in die Wogen aus Halmen ein oder stiegen hoch und trieben davon. Der Junge ließ Tobeys Arm los und wischte sich mit dem Leibchen den Schweiß von der Stirn, aber der Alte hielt seinen Gefangenen weiterhin am Handgelenk fest und lockerte nur den Griff ein wenig. Der Himmel hing farblos über ihnen, nicht einmal am Horizont gab es einen Strich aus Gelb oder Rot. Tobey blickte zurück zum Hügel, der ihm nicht sehr hoch vorkam; trotzdem wunderte er sich, ihn bisher nicht bemerkt zu haben.
    Als Tanvir bei ihnen war, ergriff der junge Philippino rasch Tobeys Arm. Tanvir verscheuchte Mücken aus seinem Gesicht, auf dem ein dünner Schweißfilm lag. »Gleich sind wir am Ziel«, sagte er und ging voran.

 
    Nachricht von Megan
     
    Ich habe keine Bücher mehr, Tobey. Ich habe sie in Kisten verpackt und zum Trödelladen geschleppt und verkauft. Einige waren etwas wert, der Rest wurde per Kilo berechnet. Dann habe ich das Gleiche mit meinen Möbeln und Kleidern und Schuhen gemacht. Ich habe mein Radio verhökert und den Toaster und alle Töpfe und Pfannen und das Geschirr. (Eigentlich habe ich nur deinen Ring behalten, und das wenige, das in einen Seesack passt.) Ich habe zum letzten Mal meine Pflanzen gegossen und sie in den Hinterhof gestellt. Ich habe zum zweiten Mal meinen Vermieter gesehen, als er durch die leere Wohnung ging und jeden Fleck an der Wand und jeden Kratzer an den Türen in eine Liste notierte. Ich habe zum ersten Mal in meinem Leben keine Bleibe mehr. Ist das nicht großartig? (Später mehr.)
     
    Wer liebt dich?
    Megan!

 
    6
     
    Das erste Bauwerk, das Tobey sah, war ein grün gestrichenes Holzhaus mit einem Giebeldach aus Wellblech. Das Haus wirkte baufällig, an den Wänden fehlten mehrere Bretter, eine Regenrinne hing lose herab, und eine der Fensterscheiben war durch eine Sperrholzplatte ersetzt worden. Neben dem Haus verlief ein schnurgerader, von Steinen gesäumter Weg, der zu einem sandigen Platz führte. An einer der Längsseiten der fußballfeldgroßen Lichtung stand eine Blechbaracke, an der linken Stirnseite ein Haus, dessen Mauern unverputzt waren. Die Baracke wurde, wie die anderen Gebäude, die Tobey sah, von Betonpfeilern getragen. Sie war etwa hüfthoch vom Boden abgesetzt, eine Maßnahme gegen Flut und Ratten, vermutete Tobey. Auf dem Dach leuchtete weiß ein Wassertank, neben dem Gebäude lagen die Überreste von Solarpaneelen im Gras. Aus einigen Fenstern drang Licht.
    »Willkommen in der Inselhauptstadt!«, rief Tanvir, der sich zu Tobey umgedreht und die Arme ausgebreitet

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