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Auf den Inseln des letzten Lichts

Auf den Inseln des letzten Lichts

Titel: Auf den Inseln des letzten Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Lappert
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Computertastatur, ein Drucker ohne Abdeckung und ein zerlegtes Telefon lagen auf dem Boden. Am Ende des Raumes, vor einer verschlossenen Tür, standen vier Metallkisten vom selben Fabrikat, wie Megan sie auf dem Anhänger gesehen hatte. Jede der Kisten war mit zwei Schlössern gesichert, die sich weder mit der verrosteten Schere, die Megan fand, noch mit brachialer Gewalt öffnen ließen.
    In der Sperrholzwand gegenüber der Fensterfront waren verglaste Öffnungen eingelassen, durch die man die Käfige sehen konnte. In derMitte gab es eine Tür, die in den Bereich zwischen dem Gebäude und den Käfigen führte. Kalenderblätter mit Landschaftsfotos bedeckten die freien Flächen. Eine Aufnahme zeigte die Tower Bridge in London, und aus einer Laune heraus riss Megan das Blatt von der Wand, zerknüllte es und warf es in einen der Abfalleimer.
    Die meisten Schubladen der Aktenschränke waren leer. Was Megan fand, waren leere Formulare und Tabellenblätter ohne Einträge, unbenutzte Briefumschläge und Klarsichtmappen, leere Hängeregistertaschen und Karteikarten. In einem Schubfach lagen Formblätter mit handschriftlichen Vermerken, und Megan entzifferte Blutgruppen, Körpertemperaturen und -gewichte, verschiedene Datumseinträge sowie Kürzel, die keinen Sinn ergaben. Weil das Licht so schlecht war und sie die Taschenlampe nicht benutzen wollte, ging sie durch die Tür in der Sperrholzwand und setzte sich im Innenhof auf einen Klappstuhl unter eines der Plexiglasfenster, die alle paar Meter das Wellblech ersetzten und für ein wenig Helligkeit sorgten.
    Sie rätselte gerade über die Bedeutung einiger immer wiederkehrender Abkürzungen, als sie den Laut hörte. Zuerst war sie nicht sicher, ob sie sich getäuscht hatte, aber dann vernahm sie ihn erneut. Eine Art Bellen, dachte sie, das leise Bellen eines Welpen. Sie erhob sich, legte die Blätter auf den Stuhl und ging zum entfernten Ende des Gebäudes, vorbei an acht leeren Zwingern, bis sie vor dem letzten stand. Dieser Käfig war größer als die anderen und nicht aus Maschendraht, sondern aus massiven Eisenstangen. In seiner Mitte, auf trockener, sandiger Erde, stand ein Baum ohne Borke, der Megan an die Kletterbäume in Zoos erinnerte. Neben dem Baum tat sich ein Loch auf wie der Eingang zu einer Höhle oder dem Bau eines Tieres. Auf einem Stein lagen Maiskolben, Bananen und Nüsse, in einem Plastikbecken schimmerte Wasser. Es gab eine Tür, ebenfalls aus Eisenstangen geschweißt, aber sie war verschlossen.
    Rechts von dem Käfig befand sich ein gemauerter Raum, in dem ein kleiner Tisch und ein Klappstuhl standen. Eine Treppe führte unter den Boden, und Megan schaltete die Taschenlampe ein und ging die fünf Stufen hinab in eine enge Kammer, wo es nach feuchter Erde und schwach nach Fäkalien roch. Die Hälfte der unverputzten Backsteinwand wurde von einer Tür mit einem Sichtfenster eingenommen. Eine Blende ausSperrholz verdeckte das quadratische Guckloch. Megan schob sie zur Seite und ging mit dem Gesicht nahe an die Glasscheibe heran, um in den dunklen Raum dahinter zu spähen, aber sie konnte nichts erkennen und wollte schon zur Treppe, als sie den Schalter entdeckte. Sie drehte ihn, worauf jenseits der Scheibe eine Deckenleuchte anging und ihr schwaches bläuliches Licht auf die Natursteinwände einer künstlichen Höhle warf, deren Boden eine dichte Lage aus Stroh und Blättern bedeckte. Megan schaltete die Taschenlampe aus und trat noch einmal nahe an das Guckloch heran. Den Fuß und das halbe Bein sah sie erst nach einer Weile, und es dauerte noch einmal so lange, bis sie begriff, dass es die Gliedmaßen eines menschlichen Wesens waren und nicht die eines Primaten. Ein Kind, dachte sie plötzlich, und die Erkenntnis traf sie mit einer solchen Wucht, dass sie taumelnd von der Tür zurückwich und mit dem Rücken gegen die Wand hinter ihr stieß.
    Nachdem sie sich einigermaßen beruhigt hatte und wieder normal atmete, ging sie erneut zu der Tür und tippte mit der Kuppe des Zeigefingers leicht gegen die Scheibe. Das Bein zuckte, und als Megan mit dem Knöchel gegen das Glas pochte, verschwand es ganz aus ihrem Blickfeld. Das Stroh bewegte sich, und wenig später hörte sie von oben langgezogene Rufe, eine Art Heulen, und dann das Bellen, aber diesmal lauter als zuvor. Sie rannte die Treppe hoch, stürzte aus dem Nebenbau und sah das Wesen, das diese Töne von sich gab, und der Anblick verschlug ihr den Atem. Das Kind, ein Mädchen, war klein und nackt und

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