Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Auf den Inseln des letzten Lichts

Auf den Inseln des letzten Lichts

Titel: Auf den Inseln des letzten Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Lappert
Vom Netzwerk:
einzige Mensch auf der Insel, der diesem Laster frönt.« Tanvir nahm ein Glas aus dem Schrank und trug es mit der Flasche und der Petroleumlampe auf eine Art Veranda, einen aus rohen Brettern gezimmerten Vorbau mit Geländer und Treppe, auf dem drei Korbstühle und ein Tisch aus Bambus standen.
    »Kommen Sie, setzen Sie sich!«, rief Tanvir, nachdem er es sich in einem der Stühle bequem gemacht hatte. »Die Stunde der Moskitos ist vorbei.« Er füllte sein Glas zur Hälfte mit Gin und drückte den Korken in den Flaschenhals zurück.
    Tobey griff nach der Flasche mit der Mundspülung und der mit demWasser, stieß die Fliegengittertür auf und trat auf die Veranda hinaus. Es war ein wenig kühler geworden und dunkel, der Schein der Lampe reichte nur bis an die Kanten des Tisches, auf dem sie stand. Falter schwirrten bereits im Licht, einer flog über die Öffnung und versengte in der aufsteigenden Hitze, vermischte sich mit dem öligen Ruß, der als gerade Säule nach oben floss. Das Holz der Planken sonderte Wärme ab und einen Geruch, der Tobey an die Veranda vor seinem Elternhaus erinnerte. Sein Vater hatte sie gebaut, weil Cait in einer Illustrierten das Bild einer Villa in South Carolina gesehen hatte. Weiß gestrichen musste sie sein und mit Verzierungen an den tragenden Balken und am Geländer. Eine Schaukel gehörte dazu, eine gepolsterte Holzbank, die an Ketten hing und leise quietschte, wenn man sie benutzte.
    »Wollen Sie mir erzählen, weshalb Sie hier sind?« Tanvir schob mit dem Fuß den leeren Stuhl, der vor ihm stand, ein Stück weg, eine Aufforderung an Tobey, sich zu setzen.
    Tobey blieb stehen. Aus dem Wald stieg der Gesang der Insekten, ab und zu schrie ein Vogel. Er hatte plötzlich das Gefühl, schon ewig auf der Insel zu sein.
    »Nehmen Sie eine Pille, eine ovale.«
    Tobey nahm die Streichholzbox aus der Hosentasche und öffnete sie. Sechs ovale und sechs runde Tabletten lagen darin.
    »Die sind gegen Schmerzen.«
    Tobey zögerte, dann legte er eine Tablette auf die dicke Zunge und trank Wasser aus der Flasche. Schließlich setzte er sich, aber er wählte nicht den Stuhl, der Tanvir gegenüberstand, sondern den auf der anderen Seite des Tisches. Als er Tanvir kurz aus dem Augenwinkel ansah, bemerkte er ein amüsiertes, leicht spöttisches Lächeln in seinem Gesicht.
    »Warten Sie, bis das Mittel wirkt.« Tanvir trank einen Schluck Gin, zog den leeren Stuhl wieder zu sich heran und legte die nackten Füße darauf. Er verschränkte die Arme vor der Brust und blickte in die Nacht hinaus, als gäbe es dort etwas zu sehen außer dem dunklen Raster der Stämme und dem Schwarz des Himmels.
    »Ich suche jemanden«, sagte Tobey nach einer Weile. Seine Zunge war noch immer geschwollen, ein Hindernis, an dem sich die Worte vorbeizwängen mussten und dabei einige Konsonanten einbüßten.
    »Woher wissen Sie von dieser Insel?«
    »Von dieser Person.«
    »Wer hat Sie auf der Insel abgesetzt?«
    »Drei Männer. Ich habe ihnen viel Geld bezahlt.«
    »Holen die Sie auch wieder ab?«
    Tobey schloss die Augen. Die Luft roch nach dem verbrannten Petroleum und etwas Süßem, Vergorenem. Er musste an Jason Dwyer denken, in dessen Zimmer Obst vor sich hin rottete, Pfirsiche und Aprikosen und Bananen, das Einzige, was Jason noch aß in den Wochen vor seinem Tod. Er öffnete die Augen und stand auf. Die Tablette schien zu wirken, die Schmerzen im Mund begannen abzuklingen, die Schürfwunden an den Handgelenken brannten kaum noch.
    »Sie waren wahrscheinlich schon da, heute oder gestern.«
    »Wen suchen Sie, Tobey?«
    Tobey lehnte sich gegen das Geländer, stützte die Arme darauf ab, Tanvir den Rücken zugewandt. »Als ob Sie das nicht wüssten.«
    »Warum sollte ich?«
    »Weil Sie die Briefe gelesen haben.«
    »Das stimmt nicht.« Tanvir nahm die Füße vom Stuhl und trank einen Schluck. »Ich habe nur einen gelesen«, sagte er etwas leiser.
    Ein Tier raschelte im feuchten, schweren Laub, das zwischen den Bäumen vermoderte, dann sah Tobey einen Schatten vorbeihuschen.
    »Sie sind also ihr Bruder.«
    Tobey antwortete nicht. Das Tier verschwand im Wald, kurz darauf krächzte ein Vogel und flatterte durch die Baumkronen.
    »Megan.« Tanvir flüsterte den Namen beinahe.
    Tobey drehte sich langsam um. Er wollte die Frage nicht stellen und stellte stattdessen eine andere. »Wann war sie hier?«
    Tanvir erhob sich. Es schien, als beabsichtigte er, auf Tobey zuzugehen, aber dann blieb er, wo er war, machte eine hilflose

Weitere Kostenlose Bücher