Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Auf den Inseln des letzten Lichts

Auf den Inseln des letzten Lichts

Titel: Auf den Inseln des letzten Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Lappert
Vom Netzwerk:
Aufklärung. Unter dem Adler weht ein Banner, die Enden wellen sich, darin steht unser Name in Großbuchstaben. Das Ganze sieht ein bisschen aus wie ein Familienwappen, ziemlich altmodisch, aber ich mag es. Es erinnert mich an die Bücher über Ritter, die du gelesen hast (oder hast du dir nur die Illustrationen angesehen?), Ivanhoe und Prinz Eisenherz, König Artus. Die hatten solche Wappen auf ihren Schilden und den Umhängen ihrer Pferde. So würde ich mich gerne sehen, Tobey, als Ritter, der für eine gerechte Sache kämpft. Die Aktion war ein Riesenerfolg. Vorsorglich wurden landesweit alle Hamburgerläden geschlossen,einen ganzen Tag lang. Hunderte von Polizisten riegelten Straßen ab und leiteten den Verkehr um. Die Feuerwehr stand bereit. Sprengstoffspezialisten der Polizei und Armee wurden geholt. Die behandelten jede Attrappe wie eine echte Bombe, vierzig Mal in vierzig Filialen und fünf Städten. Das hat uns berühmt gemacht. Du wirst vielleicht denken, ich hätte nicht mehr alle Tassen im Schrank, aber als ich unseren Namen und den Adler auf den Titelseiten der Times , der Sun und des Wallstreet Journals sah, musste ich heulen. Ich hatte bei jeder Aktion eine Riesenangst, erwischt zu werden, und ich habe sie auch jetzt noch, und bestimmt hatte es mit dieser Angst zu tun, dass ich geweint habe, aber da war auch noch etwas anderes, etwas wie Erleichterung, Verblüffung, Glück. Und ja, warum nicht: Stolz. Siebzehn Leute haben tagelang Reisewecker, Drähte und Plastilin in transparente Tupperboxen gesteckt und in Rucksäcke verstaut, die sie an einem Mittwoch zwischen zehn und elf Uhr morgens in Toilettenkabinen ausgewählter Fastfoodfilialen stellten. Während der Vorbereitungen haben sie darüber geredet, wie es wohl wäre, erwischt und eingesperrt zu werden, und wie viele Jahre man bekommen würde für das, was man schon verbrochen hatte (Bildung einer kriminellen Vereinigung, Sachbeschädigung, Brandstiftung, Einbruch, Landfriedensbruch, Diebstahl, versuchte Körperverletzung, Erpressung und so weiter). Sie kamen auf zwei bis zehn Jahre, je nach Vorstrafenregister, dachten kurz nach und holten dann die nächste Tupperbox aus dem Karton, um sie in eine täuschend echt aussehende Bombe zu verwandeln. Und weißt du was, Toto? Einer von ihnen wäre es egal gewesen, wenn man sie geschnappt und eingelocht hätte. Sie hätte den lieben langen Tag in ihrer Zelle gesessen, gelesen, gezeichnet (die Kakerlake, die hinter ihrem Klo lebt) und Briefe geschrieben, an ihren Bruder, den sie vermisst und von dem sie nicht weiß, ob er ihr verziehen hat.
     
    Der Fußtritt der Ameise bewegt den Fels.
    Laotisches Sprichwort.
     
    Wer liebt dich?
    Megan!

 
    7
     
    Tobey fror, blieb aber liegen. Wind fuhr ihm durch das Haar. Er hatte nicht schlafen können und ewig die Tabletten in der Streichholzschachtel angestarrt und war dann einfach losgegangen, aus dem Zimmer, der Baracke, war dem erstbesten Pfad gefolgt und nach einer Weile am Strand gelandet. Er hatte sich in den Sand gelegt und die Augen geschlossen, weil es sowieso nichts zu sehen gab über ihm: keine Wolken, keine Sterne, keine Flugzeuge. Er musste an den Nachmittag am Strand von Glenbeigh denken, an die Stunden vor seinem endgültigen Entschluss, nach Dublin zu gehen, an die Minuten in seinem Zimmer, an Megans Versuch, ihn zum Bleiben zu bewegen, an seine Flucht, rasend und schlingernd zwischen den Hügeln, nach Schafen tretend, die zu blöd waren, um seine Eile zu erkennen, heulend und fluchend unter dem Regen, der auf die Gitarre an seinem Rücken trommelte.
    Als die ersten Tropfen fielen, lächelte Tobey. Sekunden später war er bis auf die Knochen nass und weinte. Er lag da und schrie ihren Namen in die Nacht. Er brüllte mit der Stimme seines Vaters und verfluchte Gott. Er sang, er kreischte seinen rüdesten Song, Sand zwischen den Zähnen. Er betete die Namen auf ihrem Tierfriedhof herunter, Zeilen aus ihren Briefen, er betete. Er zog sich nackt aus, wälzte sich herum, grub sich ein.
    So lag er noch, als es längst aufgehört hatte zu regnen. Er zitterte, seine Kleider lagen als nasses Knäuel neben ihm. Der Himmel war ein Stück weggerückt, zwischen Wolkenschlieren tauchten Sterne auf. Krebse liefen in ihrem schwachen Licht, Tobey konnte sie sehen. Er hob den Kopf, der Horizont war erkennbar, das Meer schwarz, das Weltall etwas heller. Erst jetzt fiel ihm die Lautstärke der Brandung auf, sie dröhnte plötzlichso in seinen Ohren, dass er sich

Weitere Kostenlose Bücher