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Auf den Inseln des letzten Lichts

Auf den Inseln des letzten Lichts

Titel: Auf den Inseln des letzten Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Lappert
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Bewegung mit den Händen und senkte den Blick.
    Tobey hatte versucht sich vorzustellen, wie er auf die Nachricht von Megans Tod reagieren würde, und merkte jetzt, wie sinnlos es gewesen war, diesen Moment immer und immer wieder durchzuspielen, denn nichts konnte einen darauf vorbereiten. Die Luft hörte auf zu sirren undsein Herz auf zu schlagen. Sein Kopf war leer, dann rauschten Bilder durch ihn hindurch, wirbelnde farbige Kleckse, aufleuchtend für den Bruchteil einer Sekunde. In seinem Schädel hob ein Lärm an, ein Flüstern und Singen und Schreien, die Summe aller Stimmen aller Jahre. Tobey wurde kalt und schwer, der Boden unter ihm fühlte sich weich an, als würde er nachgeben.
    »Es tut mir leid«, sagte Tanvir. Es klang wie von weit her.
    Tobey wandte sich ab und starrte hinüber zum Wald. Seine Hände umfassten das Geländer. Wenn man lange genug hinsah, erkannte man die Grenze zwischen den Baumkronen und dem Himmel, nahm einzelne Stämme wahr, den kahlen Boden neben dem Gebäude.
    »Sie liegt hier auf der Insel begraben.«
    Tobey sagte nichts. Er hörte, wie Tanvir sich hinsetzte, wie das Rattan knisterte, wie der Schraubverschluss einer Flasche aufgedreht und ein Glas mit Flüssigkeit gefüllt wurde. Er glaubte den Gin riechen zu können. Er erinnerte sich daran, wie Alkohol wirkte, wie er einen immer weiter und höher trieb, wenn man auf einer Welle ritt, und wie er einen betäubte, wenn man unten war, am dunklen Grund eines Traums.
    »Zeigen Sie mir das Grab?«
    »Morgen. Jetzt sollten Sie schlafen.« Tanvir stand auf, nahm die Flasche und die Lampe und ging zur Treppe, wo er sich umdrehte. »Ihr Zimmer ist da drüben.« Er zeigte auf das unverputzte Gebäude.
    Tobey folgte ihm. Das Oval aus Helligkeit, das die Lampe abgab, schwang auf dem ausgetretenen Pfad hin und her. Wind kam auf und wehte Blätter vor ihnen über den Boden.
    »Regen«, sagte Tanvir. Er ging die fünf Treppenstufen in der Mitte des gemauerten Gebäudes hoch, öffnete eine Tür und betrat einen in gelbliches Neonlicht getauchten Raum. Ein altes Sofa, ein runder Salontisch, ein Sessel und ein Getränkeautomat standen darin, an einer Wand drei Stühle, jeder aus einem anderen Material. Zwei Flure gingen von dem Vorraum ab, Tanvir nahm den rechten und holte einen Bund mit Schlüsseln aus der Hosentasche. An drei Türen ging er vorbei, vor der vierten blieb er stehen und sperrte sie auf. »Es ist nicht das Royal Orchid, aber auch nicht die letzte Absteige.« Er drehte einen Schalter, und der schwache Schein der Deckenlampe, die gleichzeitig ein Ventilator war,fiel auf ein großes Bett, einen Schrank und eine Kommode. Das Bett stand auf einem Teppich aus Sisal, um den herum blanker Holzfußboden schimmerte. »Ich hole Ihnen etwas Kaltes zu trinken. Für die Tabletten.« Tanvir ging zur Tür. »Cola, Sprite, Dr. Pepper?«
    Tobey zuckte mit den Schultern. »Sprite«, sagte er. Jetzt, wo er nicht reden wollte, konnte er seine Zunge wieder bewegen. Er setzte sich auf das Bett, an dessen Fußende, auf einem gefalteten Handtuch, ein Stück Seife lag. An der Wand gegenüber hing ein gerahmtes Kalenderbild, das ein Stück Polarmeer und Packeisfelder aus der Luft zeigte, ein verblasster Druck mit Blaustich. Auf einem Hocker, der als Nachttisch diente, stand eine Petroleumlampe, daneben lag eine Schachtel Streichhölzer. Durch eine Tür zu Tobeys Linken ging es ins Badezimmer, ein weißes Waschbecken leuchtete im Halbdunkel. Das Rauschen von Palmblättern drang durch ein offenes, mit Fliegengitter versehenes Fenster.
    »Zwei, das sollte reichen.« Tanvir stellte die vor Kälte beschlagenen Büchsen auf die Kommode. »Nehmen Sie gleich eine der runden Pillen, dann schlafen Sie durch.«
    »Woran ist sie gestorben?«
    Tanvir sah Tobey an, wischte sich die feuchten Hände an der Hose ab. »Morgen werde ich es Ihnen erzählen«, sagte er.
    Auf dem Gang waren Schritte zu hören, und Sekunden später betrat der junge Philippino mit Tobeys Koffern das Zimmer. Er stellte die Koffer ab, sah Tanvir an und ging, als dieser nickte.
    »Ich dachte, die wollen Sie bei sich haben.«
    Tobey starrte die Koffer an. Sein Onkel, der Bruder seines Vaters, hatte sie ihm gegeben. Als Tobey ihm von seiner geplanten Suche nach Megan erzählte, holte Aidan sie vom Dachboden. Sie waren aus Pappe, außen mit braunem Lederimitat beklebt, innen mit kariertem Stoff ausgekleidet. Während Aidan die Koffer reinigte, erzählte er, sie hätten seinem Bruder gehört, der, nachdem er

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