Auf den Inseln des letzten Lichts
einmal erkannte er an einer Wand ein Regal, in dem Flaschen standen und den Lichtstrahl zurückwarfen. Der Gang endete an einer Stahltür und einer Betonwand, in die jemand JESUS geritzt hatte.
Als er zurück zum Ausstieg ging, sah er die Pille am Boden liegen. Er hob sie auf, roch daran und steckte sie ein. Dann stieg er die Stufen hoch, schloss die Klappe und drehte die Schrauben wieder ein. Um die Spuren der Messerklinge zu kaschieren, rieb er feuchte Erde auf die Schraubenköpfe. Zuletzt bedeckte er die Tür mit Erde, Laub und Ästen und machte sich auf den Rückweg.
In seinem Zimmer nahm Tobey die Pille aus der Hosentasche und legte sie unter das Kopfkissen. Dann zog er sich aus, schob das Messer in das Versteck hinter dem Boiler, duschte und nahm die Sachen vom Vortag aus dem Schrank, die zwar nicht frisch, aber immerhin sauber waren. Die dreckige Hose und das verschwitzte Hemd wusch er mit Seife im Waschbecken aus und hängte beides über die Stange des Duschvorhangs.Nachdem er angezogen war, steckte er die Pille ein und ging aus dem Zimmer hinüber zur Küchenbaracke.
Rosalinda saß mit einer Tasse Kaffee am Tisch und las in einem Buch. Obwohl sie schlecht gelaunt zu sein schien, erwiderte sie Tobeys Gruß. Chester lag auf dem Boden. Er klaubte kleine Fetzen aus einer Brotscheibe, drehte sie zu Kugeln und steckte sie in den Mund. Mit dem rechten Fuß hielt er ein Stück von Rosalindas Rocksaum fest. Er sah Tobey aus halbgeöffneten Lidern an, schürzte die Lippen und gab einen jener Laute von sich, die Wohlbehagen ausdrückten.
Tobey setzte sich Rosalinda gegenüber an den Tisch. Aus dem Radio kam leise etwas, das nach Salsa klang, von einem Streichorchester gespielt. Wie riesige, viel zu schnelle Zeiger drehten sich die Schaufelblätter der Deckenventilatoren, doch die Zeit schien zu stehen.
Die Köchin hob den Kopf. »Warten«, sagte sie und zeigte auf die zierliche Uhr, die im Fleisch ihres Unterarms versank. Sie schob einen vollen Brotkorb in Tobeys Richtung, dann widmete sie sich wieder dem Buch.
Das Brot war trocken und stark gesalzen. Tobey goss Wasser aus dem Krug in sein Glas und trank es leer. Wenn Rosalinda eine Seite umblätterte, seufzte sie schwer, als strengte es sie an oder als beklagte sie die Tragweite des Gelesenen. Soweit Tobey sehen konnte, handelte es sich um ein religiöses Buch. Auf jeder zweiten Seite waren farbige Illustrationen abgedruckt, die von gleißenden Strahlen bekränzte Wesen zeigten, umwölkte Bergspitzen, auf denen goldene Kreuze standen, Engel mit flammenden Schwertern in der Hand. Tobey sah den Teufel, eine rote, gehörnte Gestalt, die einem mit Anzug und Hut bekleideten Mann einen Spieß in die Brust bohrte. Beim Anblick des Satans bekreuzigte sich Rosalinda, murmelte etwas, das wie ein kurzes Gebet, eine Formel zur Bannung des Bösen klang, und blätterte hastig weiter. Sie bewegte die Lippen beim Lesen und legte die Stirn in Falten, und ab und zu flüsterte sie ein Wort, das ihr wohl besonders bedeutungsvoll erschien. Tobeys Anwesenheit war ihr offensichtlich gleichgültig. Erhob sie sich, um in den Töpfen zu rühren, würdigte sie ihn ebenso wenig eines Blicks, wie wenn sie sich wieder hinsetzte. Dennoch hatte Tobey das Gefühl, die eisige Missbilligung der ersten Tage sei einer reservierten Zuneigung oder zumindest einer großherzigen Duldung gewichen.
Alle paar Minuten tauchte Chesters ausgestreckter Arm wie das Periskop eines U-Boots neben Rosalinda auf. Dann griff die Köchin, ohne die Augen von der Lektüre zu nehmen, nach einer Scheibe Brot und drückte sie dem Schimpansen in die Hand, worauf der Arm abtauchte und ein wohliges Grunzen emporstieg.
Als die drei Männer die Küche betraten, schreckte Tobey aus einem Dämmerzustand hoch. Miguel und Jay Jay brachten Feuerholz und ein totes Huhn, Tanvir stellte eine Gasflasche auf den Boden. Rosalinda holte tief Luft, atmete seufzend aus, legte ein Stück Schnur zwischen die Seiten und klappte das Buch geräuschvoll zu.
»Tut mir leid«, sagte Tanvir. »Es hat ein wenig länger gedauert als geplant.«
Rosalinda murmelte etwas, erhob sich und nahm die Töpfe vom Herd. Miguel und Jay Jay gingen in den Nebenraum, wo man sich vor dem Essen die Hände waschen konnte.
Tanvir sah Tobey an. Er trug eine weite sandfarbene Hose und ein dunkelblaues Kurzarmhemd mit dünnen schwarzen Streifen. »Ich dachte schon, Sie haben uns verlassen, ohne sich zu verabschieden.«
»Wie könnte ich«, sagte Tobey.
»Ja,
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