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Auf den Inseln des letzten Lichts

Auf den Inseln des letzten Lichts

Titel: Auf den Inseln des letzten Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Lappert
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grunzte, wenn ich sie besuchte in ihrem finsteren Koben, wo sie mit ihren Jungen liegen musste, bis sie kräftig genug waren, um ins Freie zu gehen, in die ummauerte Bucht, das einzige Stück Erde, das sie in ihrem Leben sehen würden, tausendmal umgepflügter Boden und doch die ganze Welt. Die Jahre in London werden in das Buch einfließen, die Tage und Nächte in meinen gemütlichen schäbigen Wohnungen, meinen Zimmerchen, die ich mit Büchern und Zeitungen so gut es ging gegen die Kälte isolierte. Soll ich aufschreiben, dass jetzt, in diesem Augenblick, das blaue Holztor sich öffnet und zwei Männer in roten Overalls ein riesiges O (O Flynn oder Null?) in den Hof schleppen? Soll ich dieses Ereignis für später aufheben, wenn ich in der Geschichte an diesem Punkt angekommen bin, hier, heute? Soll ich ein Notizbuch anlegen und darin Begebenheiten festhalten wie diese mit der Null, die jetzt verlassen im Hof steht, als wären die Männer durch sie hindurchgegangen und in einer Parallelwelt verschwunden? Oder die mit dem Jungen, der letzte Woche vor meiner Zimmertür stand und mir einen Welpen verkaufen wollte, einen winzigen weißen Hund mit geschlossenen Augen, der in eine Kinderhand passte? (Ich gab dem Jungen Geld und schickte ihn weg.) Was soll ich sammeln, archivieren, was ist es wert, aufgehoben und erinnert zu werden? Die Zeitungsmeldung über den Unfall in Singapur, bei dem ein Mann von einem mit Bremsklötzen beladenen Lieferwagen überrollt wurde, weil dessen Bremsen versagten? Die sieben Minuten, die der Arzt in Djakarta brauchte, um eine Glasscherbe aus meiner Fußsohle zu entfernen? Die zwei Sekunden, in denen ich dachte, ich hätte Jason gesehen, wie er über die Straße vor dem Hotel geht und in einen Bus steigt? Der Augenblick, als ich Vater in der Scheune fand? (Ein Huhn, ich glaube, es war Rita, döste zwischen seinen Stiefeln.) Sams Geruch,wenn ich ihn an einem Sommerabend in den Stall brachte? Hollys Blick, wenn ich für sie gesungen habe? (Von dir heimlich beobachtet.) Du bist vom Heuboden gesprungen, um mich zu erschrecken, du hast aus deinem Versteck mit Steinchen nach mir geworfen, du hast dich lustig über mich gemacht, über Megan O Flynn, von der alle sagten, wie klug sie sei, und die einem Hund das Weiße Album vorspielte und Hühnern von fernen Kontinenten erzählte, die Grabreden auf Spatzen hielt und Verse an Schweine verschwendete. Willst du in mein Buch, Tobey? (Du bist schon drin!)
     
    Wer liebt dich?
    Megan!

 
    12
     
    Tobey lag auf dem gerollten Teppich und sah an die Decke, sah zu, wie der Schatten des Lampenkabels wanderte, wie das Licht sich veränderte. Eine Fliege verirrte sich ins Zimmer, drehte Kreise und stieß immer wieder gegen die Fensterscheiben, hilflos und stur. Montgomery saß noch immer im Schneidersitz da, die Arme auf die Oberschenkel gebettet wie ein meditierender Mönch. Unter ihnen war es ruhig, nur gelegentlich drang ein Geräusch hoch, wenn eine Tür geschlossen oder ein Blecheimer abgesetzt wurde. Tobey blinzelte in die Helligkeit, die durch die Fenster in den Raum fiel. Der Bonobo schien zu schlafen, ab und zu entwich ihm ein winselnder Atemzug. Er hatte Tobey ein Blatt des Briefes nach dem andern gereicht und am Schluss einen Umschlag, auf dem, wie üblich, Barry Spillanes Adresse stand. Der Umschlag stammte aus einem Hotel in Manila Midtown, der Schriftzug zog sich über die halbe Vorderseite, eine Briefmarke fehlte. Auf der Rückseite des zweiten und dritten Blattes hatte Megan Falter gezeichnet und einen Gecko. Tobey fragte sich, warum sie den Brief nicht zur Post gebracht hatte, und begnügte sich mit der Erklärung, dass sie ihn vergessen hatte und später, als sie auf der Insel war, nicht mehr abschicken konnte und die Rückseiten zum Skizzieren benutzte. Die Vorstellung, in ihrem Buch vorzukommen, erschien ihm seltsam und unwirklich. Seine Schwester hatte ihn schon früher in ihren Geschichten auftauchen lassen: als Zwerg, Kobold oder Gnom. Manchmal war er zum Wurm oder Käfer geworden und musste für seine Sünden büßen; für ein leergeräumtes Vogelnest oder ein ausgeräuchertes Mauseloch.
    Montgomery zupfte ihn am Hosenbein und legte eine Hand ans Ohr. Jetzt vernahm auch Tobey die Schritte auf der Treppe. Sekunden später wurde die Eingangstür geöffnet und gleich darauf die zum Wohnzimmer.
    »Nancy, wie geht es Ihnen heute?« Tanvirs Stimme war laut, als redete er zu einer Schwerhörigen.
    »Haben Sie die Zeitung?«
    »Aber

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