Auf den Inseln des letzten Lichts
Grußbotschaft üben?« Tanvir zog ein Stück Papier aus der Gesäßtasche und faltete es auseinander. »Es ist in etwa derselbe Text wie vor einem Jahr.«
Nancy sah Tanvir ausdruckslos an, griff nach der Sonnenbrille und setzte sie auf. »Mein Mann ist tot.«
Tanvir schien einen Moment lang über diese Aussage nachzudenken. »Die Botschaft ist nicht für Robert«, sagte er dann so ruhig wie möglich. »Sie wenden sich an die Mitglieder des Stiftungsrats. Ihrer Stiftung, Nancy.«
Nancy suchte die Taschen ihres Kleides ab. »Bonbons habe ich auch keine.«
Tanvir richtete sich auf, drückte das Kreuz durch und holte tief Luft, um sie eine kleine Ewigkeit später, den Kopf in den Nacken gelegt, wieder auszustoßen.
»Ich hole Zigaretten«, sagte Miguel und eilte ins Haus, ohne Tanvirs Einverständnis abzuwarten.
Tanvir wandte sich von Nancy ab und betrachtete das Blatt Papier in seiner Hand wie den Plan einer Stadt, in der er sich verlaufen hatte. Er wirkte klein und müde und sah betrübt nach oben, als eine Wolke ihren Schatten auf ihn warf.
Montgomery kniff Tobey in die Seite und deutete mit dem Kinn zum Weg, auf dem Jay Jay und Chester daherkamen, Hand in Hand und sehr langsam. Tobey rückte noch näher an den Busch, duckte sich noch tiefer, obwohl Jay Jay ihn unmöglich sehen konnte. Rosalinda ging den beiden entgegen und ergriff Chesters freie Hand. So liefen sie über die Wiese, der magere, schlaksige Jay Jay, die große, füllige Rosalinda und Chester, der den Kopf hängen ließ und kleine schlurfende Schritte machte. Heiße Wellen schlechten Gewissens durchfluteten Tobey, wenn er Chester ansah.
»Hast du die Zeitung?«, Tanvir war dem Trio ein paar Meter entgegengegangen.
»Keine Zeitung«, sagte Jay Jay. Seine Haare waren verschwitzt, das weiße Leibchen klebte ihm am Körper.
»Was? Warum nicht?«
»Niemand gekommen.«
»Aber wir brauchen eine Zeitung!«, rief Tanvir und breitete in einer verzweifelt schwungvollen Geste die Arme aus, wie um die Kulisse einer Inszenierung zu umfassen, die wegen des fehlenden Requisits ausfallen würde. »Man muss ein Datum sehen! Eine Schlagzeile!« Er ließ die Arme sinken und ging umher, zog größer werdende Kreise.
Miguel ging zu Nancy und gab ihr eine Zigarette und Feuer. Nancy hatte den Hut abgenommen und sich dabei mit einer Spange im Haar verheddert, das jetzt wie nach einem Sturm seitwärts wegstand.
»Danke, Diego.« Nancy inhalierte den Rauch, als sei das die erste Nikotindosis seit Tagen. Sie hielt die Zigarette zwischen Daumen und Zeigefinger wie einen Joint und ächzte bei jedem Zug. Miguel blieb bei ihr stehen und fing mit der hohlen Hand die Glut auf, bevor sie das Kleid in Brand setzen konnte. Als Nancy Chester kommen sah, nahm sie die Sonnenbrille ab und streckte die Hand nach ihm aus. »Ach, das Äffchen!«, rief sie in einem flüchtigen Anfall von Begeisterung, dann rauchte sie weiter wie ein Schlot.
»Nehmen alte Zeitung, vielleicht«, sagte Jay Jay.
»Ach, die letzten sind mindestens zwei Monate alt.« Tanvir spannte den Sonnenschirm auf und stand dann mit hängenden Schultern da, ein Mann, der im Londoner Regen auf den Bus wartet.
»Ist großer Unterschied?«, fragte Miguel.
»Ja. Groß.« Tanvir dachte nach. »Nun ja«, sagte er schließlich, »vielleicht geht auch eine alte.«
»Sind keine Zeitungen mehr da. Ich habe alle verbrannt.« Rosalinda saß mit Chester im Gras. Der Schimpanse hatte den Kopf in ihren Schoß gelegt und ließ sich streicheln. Tobey konnte sich nicht erinnern, das Tier jemals gesehen zu haben, ohne dass es an etwas kaute oder um Futter bettelte.
Tanvir seufzte. »Tja, das wär’s dann gewesen für heute«, sagte er, den anderen den Rücken zugewandt. Der Schatten des Schirms sah aus wie ein Loch, über dem er schwebte. »Wenn wir Glück haben, liefern die Bastarde morgen eine Zeitung.«
»Bastarde«, wiederholte Jay Jay und kicherte.
Tanvir brachte sich umständlich in eine aufrechte Haltung und schloss den Schirm. Miguel trug den Tisch ins Haus, Jay Jay verstaute die Kamera in einer roten Puma-Sporttasche und faltete dann das Stativ zu einem handlichen Paket zusammen. Rosalinda erhob sich, strich ihr zerknittertes Kleid glatt und nahm den schlaftrunkenen Chester bei der Hand. Nancy war inzwischen eingenickt, ihr Kopf hing zur Seite, ihr Mund stand leicht offen. Als Tanvir sie weckte, indem er sie leise ansprach, sah sie mit unbewegter Miene zu ihm hoch und fragte: »Ist schon Morgen?«
Innerhalb der
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