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Auf den Inseln des letzten Lichts

Auf den Inseln des letzten Lichts

Titel: Auf den Inseln des letzten Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Lappert
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ordentlich wie ein diszipliniertes Kind, das ein Geschenk öffnet, dessen Inhalt ihm längst bekannt ist. Dann hob er mit zwei Fingern ein Blatt hoch und hielt es Tobey hin.
    In der Sekunde, in der Tobey Megans Handschrift erkannte, hörte er das Schlagen der Tür unter sich und gleich darauf die Stimme der alten Frau.
    »Diego? Sind Sie das?«
    »Nein, Misses Preston!« Rosalindas Stimme war unverwechselbar. Die Dielen knarrten unter den Schritten der schweren Frau, wenig später wurde die Flügeltür geöffnet. »Ich bin es, Rosa!«
    »Haben Sie meine Zeitung?«
    »Nein. Aber ich bringe Frühstück.«
    »Ach, ist es denn schon Morgen?«
    Die Flügeltür wurde geschlossen, und die Stimmen drangen nur noch schwach nach oben. Montgomery legte den Finger an die Lippen. Tobey nickte, setzte sich vorsichtig auf die Teppichrolle und nahm das Blatt in die Hand. Auf das wellige, leicht vergilbte Papier hatte Megan mit Buntstiften eine Eidechse gezeichnet und darunter einen jener Käfer, die Tobey schon oft aufgefallen waren, weil ihr Panzer dunkelblau glänzte wie der Lack der Norton Bantam , die jetzt in einem Schuppen neben der Metzgerei von Barry Spillanes Eltern vor sich hin rostete. Unter der Zeichnung stand eine Geschichte, die weniger als zwanzig Sätze lang und typisch für Megan war und in der es um einen Mistkäfer ging, der sich in das herausgefallene Glasauge einer Puppe verliebt. Das zweite Blatt, das Montgomery ihm reichte, war voller Bleistiftskizzen, die sich mit der Mechanik eines Heuschreckenbeins befassten. Auf die Rückseite hatte Megan ein achtzeiliges Gedicht gekritzelt, das durchgestrichen und unleserlich war.
    Im Erdgeschoss wurde ein Radio ein- und keine zwei Minuten später wieder ausgeschaltet. Die Frau rief etwas Unverständliches, Rosalinda brummte zurück. Eine Zeitlang rauschte es sanft unter dem Dach, wo sich der Wassertank befand, und in den Leitungsrohren rieselte es leise. Als es wieder ganz still war, nahm Montgomery ein weiteres Blatt vom Stapel und gab es Tobey.

 
    Nachricht von Megan
     
    Ich schreibe ein Buch, Tobey. Am Nachmittag, wenn ich mit der Arbeit für Jeffrey fertig bin, setze ich mich in die Bibliothek und schreibe. Ich darf Jeffreys Schreibmaschine benutzen, eine mechanische Remington, deren Tasten blassgelb sind wie abgenutztes Elfenbein. Ich sitze an einem langen Tisch, auf dem ich mir eine Fläche freigeräumt habe. Mein Blick geht auf einen Hinterhof, nichts Schönes, drei Mauern, ein blaugestrichenes Holztor, eine Reihe Blumenkübel mit halbverdorrten Pflanzen, ein Fahrrad, Abfalltonnen. Wenn ich tippe, entsteht ein Höllenlärm, den ich liebe und von dem Jeffrey behauptet, er wirke beruhigend auf ihn. (Jeffrey ist schwerhörig.) Es ist einfach zu verkünden, man schreibe ein Buch, wenn man gerade angefangen und erst zwanzig Seiten geschafft hat. Überhaupt nicht einfach ist es, etwas über den Inhalt zu sagen. Es handelt von mir und der Welt. Es handelt von Grillen und Blindschleichen, von Elstern und Schweinen und Pferden. Wellie hat einen Platz darin und Sam. Und Ruby, deren Leben mehr wert war als all mein Taschengeld. Vater geistert durch die Geschichte, Mutter ist ein fernes Gespenst. Feargal Walsh ist der Zutritt verwehrt, es gibt keine Wörter, mit denen ich meinen Ekel vor ihm beschreiben könnte. Ich will in Manila sitzen, die Augen schließen und durch meine Kindheit stolpern, will die Farm sehen und die Hügel und das Meer. Ich bin die kleine Megan mit den Augen der großen, die große mit den Augen der kleinen. Vielleicht beginnt das Buch an dem Tag, an dem ich beschließe, kein Fleisch mehr zu essen, nie mehr. Vielleicht beginnt es damit, dass ich sehe, wie mein Vater und der fette Feargal Walsh (jetzt hat er sich doch in die Geschichte gedrängt) eine Sau schlachten. Die beiden haben die brüllende Holly an den Hinterläufen gefesselt und in den dunklen Teil des Stalls gezerrt, dukennst die Ecke, wo der Boden aus Beton ist und metallene Haken von den Deckenbalken hängen. Sie knien sich auf ihren bebenden Leib und stoßen ihr ein langes Messer in die Brust. Ich schreie, und mein Schrei vermischt sich mit dem des Schweins, die Männer hören ihn nicht, ich bin nicht da, ich liege in meinem Bett und träume von Blumen und von der Sonne, die hinter dem Horizont auf mich wartet. Holly war meine Freundin, Tobey. (Vielleicht lachst du ja heute nicht mehr darüber.) Die riesige träge Holly mit dem schwarzen Fleck auf der Schnauze, die jedes Mal freudig

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