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Auf den Inseln des letzten Lichts

Auf den Inseln des letzten Lichts

Titel: Auf den Inseln des letzten Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Lappert
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sagte oder log. Nach einer Weile senkte er den Blick und öffnete die rechte Faust, in der, schwarz von Ruß, ein Ring lag. Tobey rieb ihn am Hemd so gut es ging sauber, doch die Farbe des Steins in der runden Fassung war kaum noch als Blau zu erkennen.
    Tanvir beugte den Oberkörper nach vorne. »Ich habe überlegt, ihn ihr abzunehmen und aufzubewahren«, sagte er schließlich. »Aber dann dachte ich, er gehört ihr, sie soll ihn mitnehmen.«
    Tobey betrachtete den Ring lange. »Ich habe einem Nachbarn bei der Kartoffelernte geholfen«, begann er schließlich. »Acht war ich da. Eigentlich wollte ich von dem Geld bei Sheehan’s Comics kaufen, eine Kiste gemischt für drei Pfund, das war ein Haufen Geld. Dann sah ich den Ring. Er lag bei der Kasse in einer Vitrine, und ich kaufte ihn, der alte Sheehan machte mir einen Sonderpreis. Auf dem Heimweg habe ich geheult, so dumm kam ich mir vor. Einen Ring hatte ich gekauft. War ich noch zu retten?« Tobey sah hoch, schüttelte den Kopf und ließ ihn wieder sinken. »Megan hatte zwei Wochen später Geburtstag.«
    »Am einunddreißigsten März.«
    Tobey hob erneut den Kopf.
    »Wir haben gefeiert.« Tanvir lächelte, seine Finger spielten unruhig mit dem Griff des Schirms.
    »Sie hätten ihr Gesicht sehen sollen, als sie den Ring auspackte.« Tobey lächelte, seine Lippen zitterten. Tränen liefen ihm über die Wangen, er wischte sie mit dem Hemdsärmel weg. »Sie hat ihn Jahre später weiten lassen, damit sie ihn noch tragen konnte.«
    »Was für ein Stein ist das?«, fragte Tanvir.
    »Ein Halbedelstein, nichts Großartiges. Mir hat der Name gefallen, aus dem Mund des alten Sheehan klang er magisch. Regenbogen-Obsidian.«
    Eine Zeitlang schwiegen die beiden. Die Dämmerung setzte ein. Tanvir verscheuchte ab und zu ein paar Fliegen mit dem Schirm. Plötzlich tauchte ein Huhn auf dem Weg auf und lief über den Rasen zum Grab. Einige Meter davor blieb es stehen und sah die beiden Männer an, dann kam es noch näher und begann in der aufgeschütteten Erde zu scharren. Dabei gab es leise Töne von sich, kurze Ausrufe des Erstaunens darüber, was es mit den Krallen zutage förderte.
    »Ist das eins von Ihren?«, fragte Tobey leise.
    »Keine Ahnung. Vielleicht auch eins der verwilderten.«
    »Megan kannte jedes Huhn auf der Farm. Für mich sahen sie alle gleich aus, aber sie kannte von allen den Namen. Lucy. Prudence. Rita. Eleanor. Martha.«
    »Alles Namen aus Beatles-Songs.«
    Tobey lächelte. »Mit sieben hat sie nichts anderes gehört.«
    »Wie war Megan als Kind?«
    Tobey sah auf den Ring in seiner Handfläche, dann schloss er die Augen. Er ging über den Hof, Wellie lag im Schatten der Scheune und sah ihm nach, ohne den Kopf zu heben. Die Sonne schien, das Licht war eine Spur zu grell, löste die Konturen der Dinge auf. Er lief durch das hohe Wiesengras hinter dem Haus, duckte sich unter der Wäscheleine, hob einen Strumpf auf. Er wusste, wo er sie finden würde, hörte ihr Trällern. Sie saß auf dem Baumstamm bei der Natursteinmauer und schien auf ihn zu warten. Sie war klein, sechs Jahre alt vielleicht, und trug ein bodenlanges weißes Kleid. Er wollte fragen, warum sie dieses Kleid trug, aber er konnte nicht sprechen. Sie erhob sich und gab ihm ein Blatt Papier. Es war leer, und als Tobey den Blick hob, war Megan fort.
    Tobey öffnete die Augen. Tanvir hatte die gefalteten Hände auf den Knauf des Schirms und das Kinn auf die obere Hand gelegt. Die Schirmspitze steckte in der Erde. Das Huhn war nicht mehr da.
    »Ich weiß nicht«, sagte Tobey. »Sie liebte alles. Tiere, Bäume, Blumen, alles eben. Außer vielleicht Menschen. Bei Menschen war sie sehr wählerisch.«
    »Und Sie? Liebte Megan Sie?«
    »Ich glaube. Ja, doch. Sie hat es mir jedenfalls in jedem Brief geschrieben.«
    Tanvir atmete geräuschvoll ein und aus. Dann stemmte er sich, auf den Schirm gestützt, hoch und wischte Erde und Grashalme von der Hose. »Sollen wir das Grab zuschütten und morgen wiederkommen? Wir könnten eine kleine Zeremonie begehen. Nichts Katholisches.«
    Tobey steckte den Ring in die Hosentasche und erhob sich ebenfalls. Seine Beine fühlten sich taub an, das Hemd klebte ihm am Rücken. Er hob die Schaufel auf, merkte, dass er Blasen an den Händen hatte. »Ich mache das hier, gehen Sie ruhig schon vor.«
    Tanvir sah Tobey zu, wie er die Erde in die Grube schaufelte. »Sind Sie sicher?« Er sah nach oben. »Es wird gleich regnen.«
    »Gehen Sie nur. Ich bin gerne noch eine Weile

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