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Auf den Inseln des letzten Lichts

Auf den Inseln des letzten Lichts

Titel: Auf den Inseln des letzten Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Lappert
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weiß es nicht. Nachts, wenn ich wachliege, höre ich die Geräusche im Haus, das Summen des Fahrstuhls, das Wasser in den Leitungen, Schritte, ferne Stimmen. Manchmal stelle ich mir vor, wie ich an einer der Türen klingle und die Leute frage, wer sie sind, wovon sie träumen und ob sie Angst vor dem Sterben haben. Träumst du von früher, Tobey? In meinem immer wiederkehrenden Traum fahre ich mit Cait im Auto weg, die Sonne scheint und Vater steht auf der Veranda und winkt uns nach und hält dich im Arm. Vielleicht sollte ich diesen Lehrgang machen und Kassiererin werden, dann hätte ich zum ersten Mal im Leben einen richtigen Beruf. Ich würde an der Kasse sitzen und sehen, was die Leute so alles einkaufen, und würde ihnen den Rollbraten und die Steaks zweimal einscannen. Irgendwann würde ich entlassen und mit dem Zug nach London fahren, um mit Leuten, die alle jünger sind als ich, bei einem alten Mann zu lernen, wie man ein Buch schreibt. Weißt du, wie man ein Buch schreibt, Toto?
     
    Wer liebt dich?
    Megan!

 
    15
     
    Es war hell, als Tobey aus einem Zustand erwachte, der irgendwo zwischen Bewusstlosigkeit und Schlaf lag. Das Meer war ruhig, beinahe glatt. Ein leichter Wind wehte. Wolken warfen Schatteninseln auf die Wasseroberfläche. Tobey hatte die Arme über den Koffer gelegt, die Hände unter die Seile geklemmt. Die Schwimmweste hielt seine Schultern und den Kopf, der auf dem Koffer ruhte, über Wasser. Er blinzelte, sah eine grüne Fläche, grasbewachsene Hügel. Das Wasser war warm, er spürte seine Beine, konnte sie aber nicht bewegen oder wollte nicht, er war sich nicht sicher. Einmal, vielleicht gerade eben, vielleicht vor langer Zeit, streifte etwas seinen nackten Fuß, sanft und flüchtig. Eine Möwe flog still über ihn hinweg. Er schloss die Augen, seine Kehle und Zunge brannten. Er wusste, dass im Koffer zwei Flaschen Wasser waren, aber er konnte die Seile nicht lösen, seine Hände fühlten sich taub an. Der Koffer würde sich mit Wasser füllen und untergehen, sobald er ihn öffnete. Megans Briefe befanden sich darin.
    Er dämmerte erneut weg und erwachte Minuten oder Stunden später. Das Wasser umgab ihn, war noch immer warm und grün. Er dachte an Haie, war aber zu erschöpft, um in Panik zu geraten. Sein Gehirn produzierte Bilder, ein verrosteter Generator in einem verlassenen Kino. Die Vorstellung, zerfetzt zu werden, war eine eiskalte Stelle in seinem Kopf, die sich in der Sonne erwärmte und zu etwas Abstraktem verformte. Er betete, eine wirre Ansammlung von Sätzen aus der Bibel, die er als Kind lesen musste. Dabei legte er die Wange auf den Koffer, das feuchte Seil spürte er nicht mehr. Die Kunstlederhaut und die darunterliegende Pappe des Koffers würden sich irgendwann mit Wasser vollsaugen und auflösen. Wenn er dann noch bei Bewusstsein wäre, könnte er die beidenFlaschen und die Plastiktüte mit den Briefen an das Seil binden, das um seinen Bauch gewickelt war. Vielleicht könnte er auch das Hemd vor dem Untergehen retten und es sich als Schutz vor der Sonne auf den Kopf legen. Er zog eine Hand unter dem Seil hervor und bewegte die Finger, ritzte an der Kofferhaut.
    Dann fiel ihm das Messer ein. Jay Jay hatte vergessen, seine Hosentaschen zu durchsuchen. Vielleicht war es beim Kentern des Bootes herausgefallen, dachte er, und lag jetzt am Meeresgrund. Er atmete ein paar Mal ein und aus, dann tauchte er die rechte Hand ins Wasser, tastete nach der Tasche mit dem Klettverschluss und spürte den Griff an den Fingerspitzen. Ein Laut entfuhr seiner Kehle, heiser und fremd. Er zog die Hand wieder aus dem Wasser. Die Sonne brannte jetzt aus einem klaren Himmel. Es würde keine dritte Phase des Sturms geben, davon war Tobey überzeugt. Er konnte überleben, mindestens einen Tag lang, wenn er an die Wasserflaschen kam. Er zog die linke Hand unter dem Seil hervor und wickelte die Bandagen von der rechten, machte eine Faust, öffnete und schloss sie mehrmals, bis er sicher war, etwas richtig festhalten zu können. Dann ließ er sie ins Wasser gleiten, schob sie in die Tasche, umschloss den Griff und zog das Messer langsam und mit angehaltenem Atem heraus. Als es auf dem Koffer lag, stieß er einen Schrei aus.
    Er wartete ein paar Augenblicke, dann schnitt er neben den Seilen eine Öffnung in den Kofferdeckel. Das Hemd war zuoberst, er wickelte es sich um den Kopf und verknotete die Ärmel im Nacken. Die Isoliermatte wollte er zuerst ins Meer werfen, aber dann schob er sie zwischen

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