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Auf den Inseln des letzten Lichts

Auf den Inseln des letzten Lichts

Titel: Auf den Inseln des letzten Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Lappert
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die Briefe gerichtet sind?«
    Tobey sah den Mann an. Er hatte es satt, dass dauernd wildfremde Leute seine Briefe lasen. Und er hatte es satt, gefesselt zu werden und darüber nachdenken zu müssen, wie lange er noch zu leben hatte und auf welche Art man ihn wohl umbringen würde.
    »Sie sind Tobey, nicht wahr? Warum sollten Sie sonst diese Briefe mit sich herumtragen.« Der Mann drehte sich um, öffnete die Tür und sagte etwas, zwei, drei Worte in ruhigem Befehlston. Wenig später machte er die Tür zu, ging zum Stuhl, legte ein Kissen darauf und setzte sich.
    »Sie hatten kein Recht, die Briefe zu lesen«, sagte Tobey und hörte, wie lächerlich der trotzige Ton in seiner Stimme klang.
    Der Mann nahm eine Packung Zigaretten aus der Tasche seines knielangen Hemdes und streckte sie Tobey entgegen. »Rauchen Sie?«
    Tobey schüttelte den Kopf.
    »Doch, das Recht hatte ich«, sagte der Mann ruhig. Er zündete sich eine Zigarette an und steckte die Packung zurück in die Tasche. »Sie waren nicht ansprechbar, und ich wollte wissen, wen wir da aus dem Meer gezogen und auf unsere Insel gebracht haben.«
    »Warum haben Sie mich rausgeholt?«
    »Wir fühlen uns verpflichtet, Menschen in Not zu helfen. Und Sie waren in Not.«
    »Warum bin ich gefesselt?«
    »Eine Vorsichtsmaßnahme.«
    »Was haben Sie mit mir vor?«
    »Was glauben Sie?«
    »Sie bringen mich um.«
    »Warum sollten wir?«
    »Ich weiß von den Drogen.«
    »Was werden Sie mit Ihrem Wissen tun?«
    »Nichts! Diese ganze Scheiße ist mir egal!«
    »Habe ich Ihr Wort darauf, Tobey? Oder doch Barry?«
    »Tobey. Sie haben mein Wort.«
    »Warum haben Sie mich belogen?«
    »Wann?«
    »Als Sie sagten, Ihr Name sei Barry.«
    »Ich weiß nicht. Vielleicht dachte ich, es hilft mir.«
    »Es hat Ihnen nicht geholfen.«
    »Das ist mir klar. Es tut mir leid.«
    »Wo ist Tanvir?«
    »Unser Boot ist gekentert. Wenn er nicht ertrunken ist, treibt er irgendwo im Meer.«
    »Sie sind zusammen in einem Boot losgefahren?«
    »Ja.«
    »Was war das für ein Boot?«
    »Ein Rettungsboot. Tanvir hat es vor Monaten am Strand gefunden.«
    »Gefunden?«
    »Nach einem Sturm, ja. Es sah aus wie neu. Helena hieß es, wie in der griechischen Sage. Ihretwegen wurde Troja vernichtet.«
    »Wie sinnlos, nicht wahr?«, sagte der Mann. Er sog Rauch in die Lungen, sah an die Decke und stieß den Rauch aus. »Wo wollten Sie hin, Sie und Tanvir?«
    »Zu einer Insel. Tanvir sagte, die Fischer dort würden uns gegen Bezahlung zum Festland bringen.«
    »Was für eine Insel?«
    »Ich weiß es nicht.«
    Der Mann betrachtete nachdenklich den Rauch, der als gerades dünnes Band von der Zigarettenspitze aufstieg und erst auf Höhe der Fensteröffnung von einem Lufthauch erfasst und verwischt wurde. Schließlich ließ er die Zigarette auf den Boden fallen und trat sie sorgfältig aus. Dann erhob er sich, nahm das rote, mit Fransen verzierte Kissen vom Stuhl, wischte es sauber und ging zur Tür.
    »Was passiert jetzt?«, rief Tobey.
    »Wir werden sehen«, sagte der Mann, öffnete die Tür und trat hinaus. Die Tür wurde geschlossen und verriegelt.
    »Lassen Sie mich gehen!«, schrie Tobey. Er sprang auf und fiel hin. »Lassen Sie mich raus!« Er kroch zur Tür und trat mit den Füßen dagegen. »Bitte!«
     
    Es war dunkel draußen. Ein Mann hatte ein Fladenbrot gebracht und eine Petroleumlampe in die Fensteröffnung gestellt und dafür den Stuhl mitgenommen. Tobey lag auf der Pritsche. Er hatte gegessen und getrunken und sogar eine Weile geschlafen, bis laute Stimmen ihn geweckt hatten. Sie waren aus einem Gebäude in der Nähe gekommen, und eine hatte Tobey als die des Mannes erkannt, der ihn verhört hatte. Die Männer, Tobey unterschied drei Stimmen, hatten sich heftig gestritten, und irgendwann war ein Glas oder eine Flasche zerschlagen worden.
    Seit etwa einer halben Stunde war es bis auf die üblichen Geräusche ruhig. Insekten zirpten, Dieselmotoren brummten, Leute riefen einander zu. Von weit her glaubte Tobey, Musik und Stimmen aus einem Fernseherzu hören. Er starrte an die Decke und versuchte, nicht an das Video zu denken, auf dem vermummte Gotteskrieger einem jungen Mann den Kopf mit dem Schwert vom Hals schlugen. Er setzte sich auf und suchte nach einer scharfen Kante, an der er das Seil aufscheuern konnte, fand aber nichts Geeignetes. Die Petroleumlampe war unerreichbar; der Mann hatte auf den Stuhl steigen müssen, um sie in das Fensterloch zu stellen.
    Das Türschloss wurde aufgesperrt, dann die

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