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Auf den Inseln des letzten Lichts

Auf den Inseln des letzten Lichts

Titel: Auf den Inseln des letzten Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Lappert
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Ding überhaupt sturmtauglich?« Tobey streifte den Kofferrucksack ab und legte die Schwimmweste an.
    »Das wird sich gleich zeigen!« Tanvir löste zwei Paar Ruder von den Wänden.
    Tobey wickelte ein Seil mehrmals um den Koffer, das lose Ende verknotete er an seinem Gürtel.
    Tanvir band sich seine Schwimmweste um. »Kann es losgehen?«, rief er.
    »Ja!« Tobey warf die Krücken ins Boot.
    Tanvir sprang in den Sand, ergriff das Tau mit beiden Händen und zog das Boot ins Wasser. Eine ausrollende Welle erfasste es und warf es zurück auf den Sand. Tanvir hielt es fest wie ein scheuendes Pferd. »Steigen Sie rein, legen Sie sich flach auf den Boden und halten Sie die vier Ruder fest!«
    »Soll ich Ihnen nicht helfen?«
    »Auf einem Bein? Rein mit Ihnen!«
    Tobey kletterte ins Boot. Tanvir half ihm mit dem Koffer, und als Tobey lag, ging er ans Heck und schob das Boot ins tiefere Wasser. Der flache Ausläufer einer Welle hob das Boot beinahe sanft an und drehte es leicht zur Seite. Die nächste Woge schlug gegen den Bug und glitt rumpelnd unter Tobey durch. Tobey hob den Kopf und rief nach Tanvir. In diesem Augenblick fing es an zu regnen. Dicke, warme Tropfen flogen mit dem Wind heran, innerhalb von Sekunden sah Tobey nur noch wenige Meter weit.
    Tanvir tauchte an der linken Seite auf, sich mit beiden Händen am Bootsrand festhaltend und den Blick auf die Welle gerichtet, die sich heranschob. »Die noch, dann sind wir durch!«, rief er. Er atmete heftig, auf seiner nassen Glatze klebte ein Fetzen Seetang.
    Die Welle trug das Boot in die Höhe, aber sie war ruhig und glatt wie der Rücken eines Wals, dann sackte das Boot in das Tal vor dem nächsten dunklen Hügel, und Tanvir stemmte sich hoch und wälzte sich über die Bordwand, riss Tobey zwei Ruder aus der Hand und brüllte etwas, das Tobey nicht verstand, setzte sich auf die vorderste Bank und steckte die Ruder in die Halterungen. Ein weiterer Berg wuchs unter dem Boot und ließ es an seiner Flanke in die Tiefe gleiten. Alles war nass und rutschig, und Tobey hatte Mühe, sich hochzurappeln, auf die mittlere Bank zu setzen und die Ruder in Position zu bringen.
    »Rudern!«, brüllte Tanvir.
    Tobey stemmte den gesunden linken Fuß gegen die Querverstrebung im Boden und versuchte, die Ruderblätter gleichmäßig durchzuziehen, tauchte sie aber ständig zu früh ein oder schlug sie nur aufs Wasser. Zum letzten Mal hatte er mit vierzehn bei einem Schulausflug in einem Ruderboot gesessen, konnte sich aber nicht erinnern, wie er sich dabei angestellt hatte.
    »Zurück und ziehen!«, schrie Tanvir gegen den Wind an. »Zurück und ziehen! Na los!«
    Nach einer Weile ging es besser. Tobey senkte den Kopf, machte einen Buckel und fiel allmählich in Tanvirs Rhythmus. Er stellte sich die Ruder als Verlängerungen seiner Arme vor, die Blätter als seine Hände. Die Bandagen waren vom Regen durchtränkt, aber sie hielten. Tanvirs Stimme, das Meer und der Sturm dröhnten in seinem Kopf, die drei Worte waren Gebet und Schlachtruf. Um ihn herum löste sich die Welt auf, das Meer türmte sich hoch in den Himmel, der Himmel stürzte ins Meer. Es war dunkel und es gab keinen Horizont, Tobey sah nur das helle Stück Boden vor sich, getrübt durch Regenschleier und Gischt. Er dachte an die Fahrt auf die Skelligs, wo sie auf dem Rückweg in einen Sturm geraten waren, der alle an Bord, außer vielleicht den Kapitän und die beiden Matrosen, in Todesangst versetzt hatte. Das Ausflugsschiff war ein umgebauter Fischkutter gewesen, schwer und robust, keine Kunststoffschale, offen und federleicht und kaum größer als zwei Särge.
     
    Tobey lag unter den Bänken am Boden. Es gab zwei an Ketten befestigte Gefäße aus Plastik, mit denen er und Tanvir Wasser aus dem Boot geschöpft hatten. Jetzt ruhten sie sich aus, so gut es ging unter dem tosenden Sturm, hin und her geworfen von der entfesselten See. Tanvir saß zusammengekauert im Heck, zu dem er, unter den Bänken an Tobey vorbei, gekrochen war. Er hatte sich mit einem Seil an der Bank festgebunden und starrte seit Minuten auf den Kompass, den er aus der Kiste, an der er lehnte, genommen hatte. Ein Paar Ruder lag neben Tobey am Boden, die beiden anderen waren mit Lederriemen an der Wand festgemacht. Rudern war bei diesem Wellengang sinnlos, einen Kurs halten zu wollen absurd. Sie hatten Wasser getrunken und etwas Brot und eine Bananegegessen, Tobey hatte zwei Schmerztabletten geschluckt. Noch immer fiel unablässig und in einem dichten

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