Auf den Inseln des letzten Lichts

Titel: Auf den Inseln des letzten Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Lappert

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wo knöchelhoch das Wasser schwappte, und nickte. »Nun ja, ich hätte mich natürlich nicht offiziell verabschieden können, aber ein paar Tage Zeit, um abzuschließen und loszulassen, wären schön gewesen. Und gegen einen etwas weniger hektischen Aufbruch hätte ich auch nichts einzuwenden gehabt.« Er kicherte, verschloss die Dose und legte sie zurück in die Kiste.
    Der Wind frischte wieder auf, der Regen wurde dichter. Tobey sah sich um, vor und hinter ihnen hingen aus einem schwarzen, sich wälzenden Himmel dunkelgraue Schwaden ins Meer, auf beiden Seiten war am Horizont verschwommen und schwach ein Streifen Helligkeit sichtbar, schmutzig gelb wie ein schwelendes Feuer am Ende der Welt. Es kam ihm vor, als befänden sie sich in einem Korridor, in einer schmalen, unermesslich langen Schneise zwischen zwei Stürmen.
    Tanvir drehte sich um und hob den Kopf über die Bootswand. »Ich fürchte, wir bewegen uns auf die nächste Front zu!«, rief er in den Wind, der fast so stark war wie zuvor.
    »Wohin treiben wir eigentlich?«
    »Das wissen die Götter!« Tanvir machte sich klein, füllte den Behälter und kippte das Wasser aus dem Boot. »Legen Sie sich besser zurück auf den Boden!«
    Die Wellen waren plötzlich wieder hoch, der Wind blies Gischt von ihren Kämmen. Es wurde dunkel. Tobey kroch unter die Bank und legte sich hin, schöpfte blind Wasser.
    »Es gibt noch ein drittens!«, schrie Tanvir.
    »Was?« Tobey spürte, wie der Wind ihm das Wort von den Lippen riss und in die See hinausschleuderte.
    »Ich wollte nicht, dass Sie sterben!«
    »Ich kann Sie nicht verstehen!«, brüllte Tobey.
    Der Sturm hob die Grenze zwischen Meer und Himmel auf. AllesLicht war plötzlich weg, Finsternis legte sich über das Boot wie ein Tuch. Lärm stürzte herab, der Nachhall explodierender Planeten, vergehender Welten. Die Wellen waren keine Buckel mehr, keine Hügel, keine Berge, sondern einstürzende Massive, Kontinente, die gegeneinanderkrachten, waren das Universum selbst, kollabierende Galaxien, und das Boot war ein Staubkorn darin. Tanvir brüllte etwas, aber Tobey hörte nichts außer dem infernalischen Tosen. Er klammerte sich an ein festgemachtes Ruder und spürte, wie eine Hand seinen Fuß packte, wie ein Seil darumgewickelt wurde. Dann drehte sich alles, Tobey wurde herumgeworfen und in Stille getaucht, daraus hervorgezerrt und in den Lärm zurückgeworfen, weggetragen. Er schrie um sein Leben, schluckte Wasser. Er sah nichts mehr, kein Boot und keine Welle, nur noch die eine, die ihn auf ihrem Rücken trug wie ein wütendes Tier in einer rasenden Herde.

    Nachricht von Megan

    Ein Jahr, Tobey. So lange habe ich dir nicht geschrieben. Ein Wintersturm hat das Dach vom Haus am Meer gefegt, und die Besitzer haben nicht das Geld, um es reparieren zu lassen. Und ich auch nicht. Ich bin siebenundzwanzig Küstenorte weiter in Richtung Osten gezogen (ich habe sie auf der Karte nachgezählt!) und wohne in einem Mietshaus am Rand der Stadt. Zum Meer sind es fünf Kilometer, aber ich war nur ein- oder zweimal dort. Der Strand ist flach, als hätte man ihn planiert (vielleicht hat man das tatsächlich), und überall stehen Autos und Häuser und Restaurants und Imbissbuden und Blumenkübel und öffentliche Toiletten und Bänke und Klettergerüste für Kinder. Das Meer ist schiefergrau, auch im Sommer. Ich kann es von meinem Badezimmerfenster aus sehen, ich wohne im siebten Stock. Ich überlege, nach London zurückzugehen und zu studieren, Englische Literatur. Oder ich belege einen Kurs in Kreativem Schreiben. Ich habe hunderte von Büchern gelesen, weiß aber nicht, wie man eins schreibt. Fünf Tage die Woche arbeite ich in einem Supermarkt, räume Sachen in Regale und wische den Boden. Im Sommer habe ich samstags in einem Restaurant ausgeholfen. Meine Wohnung hat zwei Zimmer, in einem liegt eine Matratze am Boden, das andere ist leer. Ich sitze gerne an meinem Küchentisch und lese. (Wusstest du, dass es ein Tier gibt, das graugesichtiges Rüsselhündchen heißt, etwa 700 Gramm schwer und mit dem Elefanten verwandt ist?) In London würde ich mich um einen Job als Kellnerin in diesem neuen vegetarischen Lokal bewerben, von dem ich in der Zeitung gelesen habe. Es heißt Meat Less People und war vorher eine Diskothek und früher eine Kirche. Ich würde mir eine kleine helle Wohnung suchen, vielleicht mit einem Balkon. Im Supermarkt fragten sie, ob ich mich zur Kassiererin ausbilden lassen will,aber ich habe gesagt, ich