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Auf den Inseln des letzten Lichts

Auf den Inseln des letzten Lichts

Titel: Auf den Inseln des letzten Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Lappert
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Hemd und Schwimmweste in den Rücken, ließ sie oben ein Stück hervorstehen und lehnte den Kopf daran. Dass die beiden Taschenlampen noch funktionierten, beruhigte ihn zwar, doch der Gedanke, noch eine Nacht auf offener See zu verbringen, ließ seinen Atem stocken. Endlich hielt er eine der Wasserflaschen in der Hand, schraubte sie auf und trank. Er wusste, dass er in kleinen Portionen trinken und sich das Wasser einteilen musste, also nahm er noch einen Schluck, verschloss die Flasche und legte sie zurück in den Koffer.
    Die nächsten Stunden verbrachte er abwechselnd halbwach und dösend. Die Sonne hatte den höchsten Punkt überschritten, Tobey schätzte die Zeit auf etwa vierzehn Uhr. Die erste Wasserflasche war zur Hälfteleer. Er hoffte, in der Kühle der Nacht weniger Durst zu haben, und nahm sich vor, den letzten Schluck des restlichen halben Liters frühestens bei Sonnenaufgang zu trinken. Die zweite Flasche musste für den ganzen kommenden Tag reichen. Darüber, was dann kam, wollte er gar nicht nachdenken.
     
    Er würde sich nie daran erinnern können, ob er zuerst die Flosse gesehen oder das Motorengeräusch gehört hatte. Das visuelle und das akustische Ereignis waren von einer solchen Gleichzeitigkeit, dass sein Gehirn ihm die Information lieferte, die auf ihn zu schwimmende Haifischflosse verursache das leise Brummen. Ein Schrei detonierte in seinen Lungen, aber seine Kehle war zu, und er japste nur und merkte, wie alles in seinem Körper schwer und kalt wurde, wie das Herz ein letztes Mal schlug und sein Darm und seine Blase sich entleerten. Dann hörte sein Verstand auf zu funktionieren, die Welt wurde hell und verschwamm vor seinen Augen. Ein finaler Reflex, die Erinnerung an einen Gedanken, ließ ihn nach dem Messer greifen, aber seine Finger rührten sich nicht. Ohne zu wissen, dass er es tat, wartete er, schwebend.
    Der Weg ins Jenseits war uneben, die Fahrt holprig. Grelles Licht drang durch seine geschlossenen Lider, das Gewicht seines Körpers spürte er nicht. Er hörte fernes Summen, Stimmen, das Lachen seiner Mitreisenden, die sich darauf freuten, ihre Verwandten zu treffen. Alles war weiß und leicht und schön. Er sah ein Wolkenmeer, aus der eine Flosse ragte, und schlug die Augen auf.
    Männergesichter standen über ihm, schaukelnd wie Lampions im Wind. Er schloss die Augen wieder. Im Himmel roch es nach Fisch und Diesel. Hätte er etwas empfinden können, es wäre ein Gefühl großer Enttäuschung gewesen.
     
    Trübes Licht fiel durch die Öffnung. Tobey lag auf dem Rücken und blinzelte in das helle Rechteck. Er wollte sich die Augen reiben und merkte, dass seine Hände gefesselt waren. Von weit her wehten Stimmen und Musikfetzen heran, Hunde bellten. Der Versuch, sich zu erinnern, war, als steige er eine Treppe hoch, von der Dunkelheit in die Dämmerung. Eine Stufe war das Boot im Sturm, die nächste das Meer, die nächste der Hai.Er setzte sich auf. Seine Fußgelenke waren zusammengebunden. Über die Holzpritsche war eine gefaltete Decke gebreitet. Der Raum maß vielleicht drei mal drei Meter, die Wände waren aus unverputztem Stein, Boden und Decke aus Brettern. In einer Ecke stand ein Stuhl, darunter eine Plastikflasche. Tobey war nicht durstig, was ihn erstaunte. Er saß da und wartete, dass der Nebel in seinem Kopf sich lichtete. Gerade, als er sich einbildete, einen klaren Gedanken fassen zu können, wurde die Tür aufgesperrt und geöffnet. Ein Mann betrat den Raum, weißgekleidet, groß, eine überraschend gepflegte Erscheinung in diesem Loch. Er musste den Kopf einziehen, um nicht gegen den Türrahmen zu stoßen. Ein zweiter Mann zog die Tür zu, der laue Luftstrom versiegte und auch der Schwall an Geräuschen, die Stimmen, das Hühnergackern, die Kinderrufe, das ferne Knattern eines Motorrads.
    »Wie geht es Ihnen?«, fragte der Mann.
    Tobey sagte nichts. Er sah dem Mann sekundenlang ins Gesicht, ein schmales, dunkles Gesicht mit schwarzen Augen, schwarzem Bart und schwarzem Haar, dann senkte er den Blick. Ameisen liefen über den Boden, tauchten aus Ritzen auf und verschwanden darin.
    »Verstehen Sie mich?«
    Tobey nickte, ohne den Kopf zu heben.
    »Können Sie mir sagen, wer Sie sind?« Der Mann sprach akzentfreies Englisch.
    Tobey beobachtete eine Ameise, die eine tote Fliege schleppte.
    »Barry Spillane, ist das Ihr Name?«
    Tobey sah hoch, streifte den Mann mit einem Blick und starrte dann wieder auf den Boden. »Ja«, sagte er.
    »Wer ist dann dieser Tobey, an den

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