Auf den Schwingen des Adlers
fünfunddreißig Jahre noch immer einen vergleichsweise niedrigen Rang. Nach Teheran war er als Informatiker-Trainee gegangen, doch aufgrund seiner Reife und Zuverlässigkeit von Coburn während der Evakuierung zum Gruppenleiter ernannt worden. Schwebach, ganze einsfünfundsechzig groß, hielt sich, wie viele kleine Männer, sehr gerade und reckte das Kinn vor. Er war von dem unbändigen Kampfgeist beseelt, der schon in der Schule oft die einzige Verteidigung des Kleinsten in der Klasse ist. Auch beim Stand von drei zu null in der zweiten Halbzeit und fünf Minuten vor Spielende würde Schwebach noch immer unermüdlich über das Spielfeld fegen und dem Ausgleich hinterherrennen. Coburn bewunderte ihn, weil er sich aus Patriotismus freiwillig für Sondereinsätze in Vietnam gemeldet hatte. Seinen Kampfgeist sah man Schwebach nicht auf den ersten Blick an. Er war ein völlig unauffälliger Bursche, den man leicht übersah. In Teheran hatte er weiter im Süden als alle anderen gewohnt, in einem Stadtteil, in dem sonst keine Amerikaner lebten. Er war oft in einem abgewetzten alten Parka, Blue jeans und Strickmütze in den Straßen herumgewandert, doch nie behelligt worden. In einer Menschenmenge von nur zwei Leuten ging er völlig unter – eine Fähigkeit, die bei einer Gefängniserstürmung durchaus von Vorteil sein konnte.
Der zweite noch fehlende Mann war Ron Davis, mitdreißig Jahren der jüngste auf der Liste. Sohn eines armen schwarzen Versicherungsvertreters, war Davis schnell in der Konzernhierarchie des weißen Amerika aufgestiegen. Nur wenige, die wie er als Programmierer angefangen hatten, schafften den Sprung in die Kundenbetreuung auf Management-Ebene. Perot war besonders stolz auf Davis und pflegte zu sagen: »Rons Karriere ist wie eine Mondrakete abgegangen.« In den anderthalb Jahren in Teheran hatte Davis recht gut Farsi gelernt und unter Keane Taylor an der Umstellung der Bank Omran auf EDV gearbeitet. Davis war fröhlich, respektlos und stets zu Streichen aufgelegt. Coburn hielt ihn für den aufrichtigsten von allen in der Gruppe. Für Davis war es selbstverständlich, offen über seine Gefühle und sein Privatleben zu sprechen. Deshalb hielt Coburn ihn für labil. Vielleicht war diese Fähigkeit aber auch ein Zeichen für Stärke und großes Selbstvertrauen.
Was immer es mit seiner Seelenstärke auf sich haben mochte – körperlich war Davis zäh wie Leder. Er war nie beim Militär gewesen, doch besaß er den schwarzen Gürtel der Karatekämpfer. Als er in Teheran einmal von drei Straßenräubern überfallen worden war, hatte er sie innerhalb weniger Sekunden allesamt fertiggemacht.
Jeder in der Gruppe war in den Dreißigern.
Jeder war verheiratet.
Und jeder hatte Kinder.
Die Tür ging auf und Perot kam herein.
»Schwebach und Davis sind noch nicht da«, teilte Coburn ihm mit.
»Schon gut«, erwiderte Perot und setzte sich. »Dann muß ich mich später mit ihnen unterhalten. Sollen gleich nach ihrer Ankunft zu mir ins Büro kommen.« Er machte eine Pause. »Ich werde ihnen genau das gleiche sagen, was ich euch jetzt erzähle.«
Erneut machte er eine Pause, als wolle er seine Gedanken sammeln. Dann runzelte er die Stirn und sahdie Männer der Reihe nach an. »Ich brauche Freiwillige für ein Unternehmen, bei dem es auf Leben und Tod gehen kann. Zu diesem Zeitpunkt kann ich euch noch nichts Genaueres darüber sagen, aber ihr werdet euch schon denken können, worum es geht. Ich gebe euch fünf bis zehn Minuten Bedenkzeit, danach soll jeder von euch einzeln zu mir kommen. Überlegt euch eure Entscheidung gründlich. Wenn ihr aus irgendeinem Grunde nicht mitmachen wollt, dann sagt es frei heraus, und niemand außer den hier Anwesenden wird je davon erfahren. Entscheidet ihr euch dafür, dann erzähl’ ich euch mehr darüber. Aber jetzt geht erst mal und denkt nach.«
Sie standen auf und verließen einer nach dem anderen das Zimmer.
*
Es könnte mich ebensogut auf dem Central Expressway erwischen, dachte Joe Poché.
Er wußte nur zu gut, um was es bei diesem gefährlichen Projekt ging: Sie sollten Paul und Bill aus dem Gefängnis holen.
Als er um halb drei in der Nacht im Haus seiner Schwiegermutter in San Antonio durch Pat Sculleys Telefonanruf geweckt worden war, war das bereits seine erste Vermutung gewesen. Sculley, der schlechteste Lügner der Welt, hatte gesagt: »Ross hat mich gebeten, dich anzurufen. Du sollst gleich heute früh nach Dallas kommen. Es geht um einen neuen Job in
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