Auf Den Schwingen Des Boesen
Schwestern sind. Dein Vater hat mich erschaffen, genau wie er dich erschaffen hat, obwohl ich nicht lange in seiner Gunst gestanden habe. Er hatte mich zum Eigentum eines Mannes erschaffen und dann bestraft, als ich nicht gehorchen wollte. Der Lichtbringer hat mich mit Freuden aufgenommen und mich wie die Übrigen deiner Art gemacht. Um frei zu sein, musste ich in die Hölle hinabsteigen. Das war ein großes Unrecht.«
»Alles an dir ist unrecht.«
Sie verzog den Mund zu einem halben Lächeln. »Ohne Flügel und Heiligenschein siehst du aus wie ein Kind.« Sie leckte sich genüsslich die Lippen. »Ich mag Kinder gern.«
Eine andere Erinnerung kam mir in den Sinn, eine Erinnerung, die ich am liebsten für immer in den hintersten Winkel meines Geistes verbannt hätte. Mein anderes Ich, der Erzengel, der ich in einem anderen Leben war, beschützte Kinder und konnte es nicht ertragen, dass dieses Ungeheuer sie verschlang, sich mit unnatürlich weit aufgerissenem Maul ganze Säuglinge einverleibte.
»Was hast du mit mir vor?«, knurrte ich und fixierte sie mit zusammengekniffenen Augen.
»Du bist die letzte Reliquie, die wir für unsere Befreiung brauchen.«
»Wen meinst du mit wir ?« Ich warf einen hastigen Blick auf das alte Buch. Es musste das Grimoire sein, da war ich mir ganz sicher.
»Der Herr der Seelen und ich«, erwiderte sie.
»Wer – was – ist der Enshi?«, wollte ich wissen und stemmte mich gegen meine Ketten.
»Der Herr der Seelen ist ein gefallener Engel des Todes, der Tod selbst. Er ist die linke Hand des Lichtbringers und mein Geliebter: Sammael.«
Angst kroch in mir hoch. »Das kann nicht sein. Das ist unmöglich.«
Lilith trat einen Schritt von mir weg. »Erinnerst du dich nicht an deinen Bruder, der von Azrael in die Verbannung geschickt wurde?«
Die Erinnerungen krallten sich um mein Herz und um meine Seele und kämpften sich an die Oberfläche. Azrael, seit Anbeginn aller Zeiten der Erzengel des Todes, hatte tatsächlich Sammael, den geringeren Engel des Todes, verstoßen. Sammael und die Königin der Hölle wurden Liebende, und Azrael hatte beschlossen, ihn dafür zu bestrafen, obwohl ich ihn gewarnt hatte. Er und Sammael hatten sich einen erbitterten Kampf geliefert, doch Sammael war kein Gegner für den Erzengel Azrael. Als Sammael besiegt war, fiel er und gesellte sich zu Lilith an die Seite Luzifers, wo er genauso mächtig wurde wie ein Erzengel. Wir hatten es sehr bedauert, ihn verloren zu haben, doch er hatte uns den Rücken gekehrt, um an der dunklen Macht der Hölle teilzuhaben.
»Wusstest du nicht, warum Azrael aus dem inneren Kreis ausgeschlossen wurde?«, gurrte Lilith. »Als meine Kinder, die Vorfahren der modernen dämonischen Reaper, mein Erbe auf der Erde weiterführten, hat Azrael das persönlich genommen. Bei seinem zweiten Kampf gegen Sammael war es fast zur zweiten Apokalypse gekommen, doch Azrael hatte Sammael zum zweiten Mal besiegt und uralte Magie benutzt, um ihn gefangen zu halten. Weil er Sammael so hart bestraft hatte, nahm Gott Azrael seine Erzengelmacht. Er wurde ein Ausgestoßener und war geschwächt, aber noch nicht ganz in Ungnade gefallen. Und ich warte schon sehr, sehr lange darauf, meinen Geliebten wiederzusehen.«
»Und wenn Sammael befreit ist«, sagte ich langsam, »wirst du alles zerstören, und mit mir fängst du an.«
Lilith gab ein leises schnurrendes Geräusch von sich. »Es tut mir leid, Gabriel, aber du hast zu viele meiner Kinder umgebracht. Das kann nicht ungestraft bleiben.«
»Was willst du?«, fuhr ich sie an. »Die ganze Welt zerstören?«
Sie lachte volltönend. »Unsere Aufgabe ist es, diese Welt unserem Zuhause ähnlicher zu machen, ein bisschen wohnlicher für unseren Herrn und Meister.«
Verwirrt schüttelte ich den Kopf. »Dein Herr und Meister? Sammael?«
Sie lächelte verschmitzt. »Nein, Gabriel. Für den Lichtbringer.«
»Lichtbringer!«, rief ich verächtlich. »Lichtbringer – Luzifer willst du wohl sagen. Der Lichtbringer.«
»Korrekt!« Als ich keine Antwort gab, betrachtete sie mich interessiert, als könnte sie durch meine Haut schauen, um meine menschliche Seele zu untersuchen. »Fast wäre es mir lieber, dass Sammael dich nicht vernichtet. Vielleicht sollte ich dich vom Lichtbringer auseinandernehmen lassen und ergründen, wie sie dich erschaffen haben. Er würde dich gern in seine Klauen kriegen, Gabriel. Und ich würde mir nur allzu gern dein Inneres ansehen. Aber du bist zu gefährlich, um dich am Leben
Weitere Kostenlose Bücher