Auf Den Schwingen Des Boesen
zu lassen.«
Ich nahm den Kopf zurück und schluckte. »Dann wirst du jetzt also Sammael befreien?«
Sie hob den Zeigefinger. »Noch nicht. Zuerst wirst du mich wieder ganz machen.«
»Und wie soll das gehen?«, fragte ich und behielt sie argwöhnisch im Auge.
»Geduld, Erzengel«, flötete sie. Dann schloss sie die Augen und runzelte die Stirn, als würde sie sich konzentrieren. Wenige Sekunden später kehrte Bastian in den Keller zurück, gefolgt von Kelaeno und Merodach, was mich zu der Annahme brachte, dass Lilith sie mit der Kraft ihres Geistes herbeigerufen hatte. Vielleicht verfügte sie über eine telepathische Verbindung zu ihren grauenerregenden dämonischen Nachkommen. Sie hob eine ihrer Geisterhände und deutete auf die Gegenstände in der Nähe des Sarkophags. »Bereitet das Ritual vor.«
Kelaeno überflog die geöffneten Seiten des Buches, während Bastian Tonschüssel und Silberdolch herbeiholte. Dunkel und schweigsam stand Merodach an der Wand und beobachtete die Aktivitäten. Bastian kam auf mich zu und hob den Dolch. Als er dicht vor mir stand, konnte ich die Macht des Dolches pulsieren fühlen. Er war eine Reliquie, die an einen der Gefallenen gebunden war, eine dämonische Reliquie.
Ich starrte in seine stahlblauen Augen. »Wie bist du an den Dolch gekommen?«
»Die Klinge des Belial«, sagte er mit monotoner Stimme. »Du möchtest nicht wissen, was ich tun musste, um sie in die Hände zu bekommen.«
»Du brauchst mein Blut, nicht wahr?«
»Ja«, erwiderte er. »Es tut mir leid, aber es wird wehtun. Dein Tod wird weder schnell noch schmerzlos sein.« Er presste den Dolch an meinen Arm.
»Tu nicht so, als würdest du es bedauern«, schnauzte ich. »Seit Jahrhunderten wartest du auf diesen Moment.«
»Seit über tausend Jahren«, korrigierte er mich. »Und denk bloß nicht, du wärst die Einzige, die Opfer gebracht hat. Ich habe alles hierfür aufgegeben.«
Ich lachte bitter. »Du jammerst über das, was du aufgeben musstest, während du versuchst, die Welt zu zerstören? Was springt für dich dabei heraus?«
Er funkelte mich böse an und drückte mir den Dolch tiefer in die Haut, durchschnitt Sehnen und Fleisch. Ich schnappte nach Luft und krümmte mich vor Schmerz, doch sein Blick verriet mir, dass meine Worte ihm genauso große Schmerzen bereiteten wie jene, die mir seine Klinge zufügte. Er presste die Schale an meine Haut und ließ sie von meinem Blut auffüllen. Ich schaute nicht hin, da mir immer schlecht wurde, wenn ich mein eigenes Blut fließen sah. Innerhalb von Sekunden verheilte meine Wunde und hörte auf zu bluten. Bastian wich ohne Worte zurück und verschwand mit der Schüssel. Kelaeno nahm das Kästchen vom Tisch und öffnete den Deckel. Bastian griff hinein und zog eine Halskette heraus, einen schweren, klaren Edelstein, eingefasst von einem goldenen Anhänger an einem Draht, auf den kleinere Juwelen und Schmucksteine gezogen waren. Ich erkannte das Schmuckstück sofort. Die Constantina-Halskette, die Reliquie, die Zane nicht hatte schützen können und für die er sein Leben gelassen hatte.
Vorsichtig legte Bastian die Kette in die Schale mit meinem Blut und tauchte sie ganz unter. Kelaeno stimmte einen Gesang in einer uralten Sprache an, deren Worte sie aus dem Buch ablas. Ich hörte aufmerksam zu und suchte in meinen uralten Erinnerungen nach der Übersetzung, konnte mich jedoch nicht auf die Sprache besinnen. Ich sah zu Lilith hinüber, die ganz still und gebannt dastand, den Kopf im Nacken und die Augen geschlossen, als hätten die Worte Macht über sie. Sobald Kelaenos Gesang endete, schlug Lilith die Augen auf und zog die Halskette vorsichtig aus der Schale. Mein Blut tropfte von dem Anhänger und tränkte den vorderen Teil ihres weißen Kleides, als sie sich die Kette um den Hals legte. Dann passierte etwas äußerst Sonderbares mit meinem Blut: Es breitete sich in alle Richtungen aus, wurde vollkommen aufgesogen von Liliths Haut und strömte rot durch ihre Adern und war schließlich nirgends mehr zu sehen.
Und dann kam das Licht. Ich schrie auf, kniff die Augen zu und wandte das Gesicht von dem grellen Blitz ab. Ich hörte Schreie, hohl und wie aus weiter Ferne, als würden die Geräusche von einem alten Fernseher gesendet, Schreie, in denen jahrtausendealte, von der Dämonenkönigin gewirkte Qual und Verzweiflung widerhallte. Unfähig, meine Ohren mit den Händen zuzuhalten, presste ich die Wange gegen meinen angeketteten Arm und versuchte vergeblich, die
Weitere Kostenlose Bücher