Auf Den Schwingen Des Boesen
einzuschlafen, während wir in einem von Nathaniels alten Büchern herumblätterten, das roch, als hätte es im Keller meiner Grandma gestanden. Uns gegenüber hockten Ava und Nathaniel über einem anderen Wälzer und diskutierten über die Eigenschaften der dämonischen Vir. Nathaniel kamen sie bekannt vor, aber er wusste nicht genau, wer sie waren. Mit einem Auge spähte ich in das Buch in Wills Händen, war jedoch kaum noch aufnahmefähig. Ein brutaler Kampf gegen einen gewaltigen Reaper kann einem Mädchen ganz schön zusetzen.
»Ich habe Merodach gefunden«, sagte Ava und deutete auf eine der vergilbten Buchseiten. »Und wir haben schlechte Nachrichten.«
»Schlechte Nachrichten?«, wiederholte Will.
»Jede Menge«, sagte sie bedrückt. »Er ist älter als unsere frühesten Aufzeichnungen über die Preliatin. In diesem Buch steht die Übersetzung einer Schrifttafel, die älter ist als der Sarkophag, in dem der Enshi eingeschlossen ist. Möglicherweise hat Merodach diesem Enshi gedient, bevor er eingesperrt wurde. Er gehört zur allerersten Generation der dämonischen Reaper, direkte Nachkommen von Lilith und Sammael.«
Der letzte Satz ließ mich aufmerken. »Müsste er demnach nicht Tausende von Jahren alt sein? Kann das denn sein?«
Nathaniel nickte. »Dieser Schrifttafel nach ja.«
Manchmal vergaß ich, dass Reaper immer weiterleben konnten, wenn sie nicht durch irgendeine verheerende Verletzung zu Tode kamen. Cadan hatte erzählt, er sei achthundert Jahre alt und sein Vater sogar über tausend. Will war sechshundert und Nathaniel etwa ein Jahrhundert älter. Bastian kam mir in den Sinn. Wie alt mochte er wohl sein? Wenn ich daran dachte, wie ungerührt Merodach und Kelaeno auf Bastians Befehle reagiert hatten, fragte ich mich, ob sie womöglich stärker waren als er. Es schien, als würden die Widrigkeiten, gegen die ich ankämpfen musste, von Tag zu Tag unüberwindlicher.
»Ich hasse diesen Job«, sagte ich verzweifelt. »Ich kündige und fange bei McDonald’s an.«
Die drei engelhaften Reaper starrten mich verwirrt und überrascht an. In Wills Blick spiegelte sich sogar ein Anflug von Entsetzen.
Ich verdrehte die Augen. »Vielleicht sollte ich ja in einem Laden arbeiten, in dem ihr euch eine ordentliche Portion Humor besorgen könnt. Ich geb euch Mitarbeiterrabatt. Vor allem dir .« Ich warf Nathaniel einen vielsagenden Blick zu.
Er blinzelte empört. »Ich habe jede Menge Humor!«
»Hast du nicht«, murmelte ich. »Also nun zu Merodach. Er ist ein Einzelgänger, obwohl er anscheinend irgendwie in Verbindung mit dem Enshi steht. Es wundert mich ein bisschen, dass er mit Kelaeno und Bastian verbündet ist. Aber es war ja zu erwarten, dass Bastian die Stärksten rekrutiert, die er kriegen kann, um den Enshi zu befreien. Er braucht eine mächtige, unüberwindliche Frontlinie für seine Armee. Wenn Merodach zu ihm gestoßen ist, dann wird er der Überzeugung sein, dass Bastian die Sache durchziehen kann. Sonst würde er sich nie und nimmer von irgendjemandem herumkommandieren lassen.«
Will runzelte die Stirn. »Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass ein so alter, mächtiger Reaper sich von Bastian etwas befehlen lässt.«
»Es sei denn, Bastians Macht hätte sich vergrößert«, sagte Ava. »Du weißt, wozu Bastian imstande ist, Will.«
Er sah sie nicht an, wirkte jedoch sichtlich angespannt. »Wie dem auch sei, Merodach und Kelaeno führen Bastians Befehle aus. Wenn auch nicht, weil es ihnen Spaß macht. Habt ihr den Blick gesehen, den Merodach Bastian zugeworfen hat?«
Über Bastians Fähigkeiten zu sprechen fiel ihm sichtlich schwer. »Kelaeno hat eine sehr sonderbare, geheimnisvolle Bemerkung gemacht«, sagte ich. »Etwas über mein Herz und meine Hand oder so.«
Nathaniels Miene wurde sehr ernst. »Was genau hat sie gesagt?«
»›Die Kraft deines Herzens und deiner Hände wird dem Fluch eines Reapers zum Opfer fallen.‹ Und dann: ›Du wirst alles verlieren, was du liebst, bevor du am Ende deine Seele verlierst.‹ Es war grauenvoll.«
Er dachte kurz nach. »Damit hat sie Will gemeint. Die Kraft deines Herzens und deiner Hand. Er ist dein Beschützer, deine rechte Hand.«
Ich sah Will an, der zu Boden starrte. Ava ließ ihn ebenfalls nicht aus den Augen. »Was meinte sie wohl damit, dass er ›zum Opfer fallen‹ soll?«, fragte ich. »Worin besteht der Reaper-Fluch?«
»Es könnte vieles bedeuten«, sagte Nathaniel. »Alles, was einem Reaper gefährlich werden könnte. Eine
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