Auf Den Schwingen Des Boesen
– und warum sie sich umarmten, da sie doch nur noch Verachtung füreinander empfanden. Als ich meine Mom sah, erstarrte ich. Das Blut gefror mir in den Adern, und jegliche Farbe wich aus meinem Gesicht. Ein Ruck ging durch meinen Körper, und mein Herz begann zu rasen. Ihr geschwollenes Gesicht war blutverschmiert, das Haar völlig zerzaust. Mein Vater hielt ein Büschel gepackt, mit der anderen Hand umklammerte er ihre Kehle. Er riss sie herum und zwang sie, mich anzusehen. Sein Gesicht war zu einer derart brutalen Fratze verzerrt, dass ich ihn kaum wiedererkannte. Vor lauter Schmerz und Entsetzen waren die Augen meiner Mutter weit aufgerissen.
»Dad?«, krächzte ich. »Was tust du da?«
»Dein Daddy ist vor langer Zeit gestorben, Schätzchen.« Er schleuderte meine Mutter herum, um sie besser zu fassen zu kriegen. Sein Lächeln war zu bösartig, um menschlich zu sein. Und dann begann er sich zu verwandeln. Seine Fingernägel wurden zu Krallen, die sich in die zarte Haut meiner Mom gruben, bis noch mehr Blut hervorquoll und sie sich vor Schmerzen krümmte. Sein Grinsen entblößte vier Reißzähne, und gewaltige Stacheln zerfetzten seinen Hemdrücken und warfen monströse Schatten. »Ich muss es wissen. Schließlich hab ich ihm persönlich das Herz aus dem Brustkorb gerissen.«
»Wer bist du?«, keuchte ich atemlos, als wären seine Klauen an meinem Hals. Wills Worte hallten durch meinen Kopf. »Wenn du einem Vir begegnest, kann es sein, dass du erst erkennst, was er ist, wenn es zu spät ist. Sie können die Gestalt wechseln und in den Körper einer beliebigen Person schlüpfen, um sich einzuschleichen.«
»Das ist nicht wichtig. Aber es hat Spaß gemacht. Schöne Erinnerungen, Mädchen. Tut mir leid, dass ich dich Flittchen genannt hab.« Er schaute nachdenklich zur Decke. »Nein, wenn ich drüber nachdenke, hab ich’s ernst gemeint.«
Ich bekam keine Luft mehr, konnte nicht sprechen. Ich konnte nur den Reaper anstarren, das verwirrte Entsetzen im Gesicht meiner Mutter. Ich konnte mich nicht bewegen.
»Was? Wie? Warum?«, keuchte er spöttisch. »Da bist du sprachlos, was, Ellie ?«
Die Art, wie er meinen Namen aussprach, fühlte sich so aufdringlich an. Die Dämonischen nannten mich Preliatin. Aber dieser hier kannte mich. Lebte mit mir. Mit meiner Mutter.
Er löste die Hand von ihrem Hals, zog sich den Hemdkragen herunter, um ein seltsames Tattoo über seinem Herzen zu enthüllen, einen Kreis mit einem henochischen Symbol in der Mitte. »Das ist es, was du dich fragst. Die Magie ist alt, so unsagbar alt, dass nur Bastian davon Kenntnis haben konnte. Sie erlaubt es mir, mich ohne Schaden zu nehmen in der Sonne aufzuhalten. Du kennst ja all die kleinen Widrigkeiten, die mich verraten haben könnten. Der Zauber war kompliziert, aber er hat es zu Wege gebracht. Du hast nie etwas geahnt, stimmt’s? Ich war gut, einfach großartig.«
Er riss den Kopf meiner Mutter zurück und blickte in ihre aufgerissenen, verängstigten Augen. »Ach übrigens, das Tattoo stammt gar nicht von der Junggesellenabschiedsparty deines Cousins. Da bin ich nie gewesen. Du bist ein Schwachkopf, Diane.«
Wimmernd versuchte sie das Gesicht von ihm abzuwenden. Er grinste mich an und ließ seine Reißzähne aufblitzen.
»Wie dem auch sei. Bastian lässt euch herzlich grüßen«, gurrte der Reaper mit boshafter Stimme. Sein Gesicht hatte mittlerweile keinerlei Ähnlichkeit mehr mit dem meines Vaters, sondern schien zu einem vollkommen anderen Wesen zu gehören. »Und er hat mich gebeten, dir eine kleine Freude zu machen, als verspätetes Geschenk zum siebzehnten Geburtstag.«
Mit einem blitzschnellen Ruck brach er meiner Mutter das Genick. Leblos sackte sie zusammen und schlug mit einem dumpfen Geräusch auf dem Boden auf. Tot.
Das Blut rauschte in meinen Ohren und übertönte die nächsten Worte des Reapers. Ich starrte auf meine Mutter – auf ihre Leiche – zu seinen Füßen. Knisternde Flammen traten aus meinen Fingern und Zehen, ließen meinen Körper bis ins Mark erglühen, fraßen sich rastlos weiter, als würden sie die Zündschnur einer Dynamitstange hinaufwandern. An meinen Augenrändern nahm ich wirbelndes weißes Licht wahr, und meine Macht pulsierte. Visionen kamen an die Oberfläche, die fehlenden Teile eines jahrtausendealten Erinnerungspuzzles – Gabriels überwältigende Präsenz und Macht nahmen von mir Besitz. Die Dunkelheit wurde zu einem gewaltigen Strudel und riss mich mit. Ich war fort, und alles, was von
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