Auf der Flucht
erschienen fortan als die Werke eines Dr. h. c, seine Frau wurde Frau Doktor genannt und freute sich darüber; immer hin war sie in der Nazizeit mit Schmach und Schande gekränkt worden und hatte in ständiger Angst leben müssen.
Mitte der sechziger Jahre, ich war damals bereits Chef des Feuilletons der »StZ«, Dr. Eberle hatte weiter fleißig lateinisch gedichtet und weiter tüchtig die Altphilologie in Tübingen gefördert, wurde er zum Professor h. c. ernannt. Da viele seiner Freunde, der liberale Ministerpräsident Reinhold Maier, der Stuttgarter Kultusminister Gerhard Storz, Vater meines Kollegen Oliver, der als Sohn »des Störzle« genannt wurde, der erste Bundespräsident Theodor Heuss, Professoren waren, war er natürlich mächtig stolz auf den Titel. Sie alle waren erdverbundene Demokraten, schwätzten breit Schwäbisch und trafen sich gern in Stuttgarts »Alter Post« oder im »Hotel Zeppelin«, wo sie »Vierteles schlotzten«, also Rotwein aus den bauchigen schwäbischen Viertelliter-Henkelgläsern tranken – Heilbronner Trollinger oder Lemberger, eine Versammlung älterer Honoratioren, die die Anerkennung ihres Lebens erst spät, erst nach dem Ende der Nazizeit erfahren hatten. Sie waren weißhaarige Herren, die das Leben genossen und über Pressefreiheit und Demokratie wachten.
Manchmal, vor allem nach dem Genuss einiger Viertele, waren sie etwas zittrig und tatterich. Dann nahmen sie die großen weißen Servietten, die vor ihnen auf dem schwäbisch gutbürgerlich gedeckten Tischen lagen, falteten sie zu einem Dreieck, nahmen einen Zipfel in die Linke, legten die Servietten über den Nacken und zogen den anderen Zipfel mit der Rechten bis zum Rotwein-Glas hinunter, das sie dann an diesem Flaschenzug aus gefalteter Serviette hochzogen und runterließen. Die Hand, die das Glas hielt, bekam Halt und zitterte nicht, wenn sie das Glas zum Munde hochzog. Man vermied so das Beschlabbern von Hemd, Krawatte, Anzug und Tischtuch.
Als Josef Eberle Professor wurde, feierten die Freunde und Weggefährten dieses Ereignis im ersten Stock des Tagblatt-Turms, der Chefetage, mit Rotwein und Sekt, und einer Mischung aus beidem, die damals in Schwaben Ochsenblut genannt wurde. Bevor ich zu dieser Feier aus dem zwölften Stock, dem Feuilleton-Stockwerk, heruntergerufen wurde, gab mir die Sekretärin des neu gebackenen Professors telefonisch eine Instruktion in Sachen Etikette. »Grüß Gott, Herr Doktor Karasek«, sagte sie, lud mich zum Ehren-Umtrunk ein, und ehe sie auflegte, fügte sie hinzu: »Übrigens – die Frau Professor Eberle möchte nach wie vor Frau Doktor Eberle genannt werden.« Das war eine feine Bescheidenheit und der Versuch, in der Adenauer-Ära die im Nazi- und Nachkriegs-Deutschland zerstörte Welt bürgerlicher Hierarchien wieder zu restaurieren.
Mir hat mein Doktortitel manchmal mehr geschadet als genutzt. Zum Beispiel, als ich in München beim Werner-Friedmann-Institut, dem Vorläufer der Münchner Journalistenschule, mein Ausbildungsjahr zu absolvieren begann. Ich hatte kein Geld, und an dem Institut gab es keine Stipendien. Also versuchte ich, mir nebenher auf alle erdenkliche Art Geld zu verdienen. Einmal hatte ich in der »Süddeutschen Zeitung« eine Annonce entdeckt, in der eine Putzkraft gesucht wurde, die eine Rechtsanwaltskanzlei am Marienplatz am frühen Morgen mittels Staubsauger, Staubwedel und Wischlappen säubern sollte. Ich bewarb mich telefonisch, wurde als Student akzeptiert und gebeten, schriftliche Unterlagen einzureichen. Das tat ich und erwähnte in der Bewerbung auch meinen »Dr. phil.«. Daraufhin rief mich der Anwalt an, stotterte am Telefon herum, nannte mich dauernd »Herr Doktor« und sagte, es tue ihm leid, er könne mir den Putz-Job nicht geben. Wie denn das aussehen würde, wenn er seine Kanzlei von einem Akademiker säubern lassen würde, unmöglich würde er sich machen.
Noch viel, viel später in den siebziger Jahren beim »Spiegel« war es so, dass die Chefredakteure den Titel in Konferenzen nur dann bei der Anrede gebrauchten, wenn sie mir sagen wollten, dass sie mich für ein ziemlich weltfernes, also unjournalistisches Arschloch hielten. Auch Rudolf Augstein sprach in der gefürchteten »Spiegel«-Montagskonferenz nur dann, sozusagen über meinen Kopf hinweg, in der dritten Person von dem »Doktor Karasek«, wenn er sich spöttisch von meinen (Un-)Leistungen zu distanzieren versuchte. Er gebrauchte (er selber hatte kriegsbedingt das Notabitur) Titel
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