Auf der Flucht
begeisterter Bewunderer von Mozarts »Figaros Hochzeit« und dem »Don Giovanni«, die beide zeigen, dass Herr und Knecht nur auf sehr verzwickte Weise Freunde sein können. Ich wusste also, mit dem Wegwerfen der Artikel wäre das so eine Sache wie mit dem Nichtdrucken lateinischer Gedichte, die – an sich, an sich! – in einer Tageszeitung wenig zu suchen hatten. Und im Übrigen waren Augsteins Artikel so gut wie nie so wenig gut, dass man sie hätte wegwerfen müssen.
Das Herr-Knecht-Verhältnis hatte ich schon in Tübingen studiert, nein, nicht bei der Widmung meiner Promotion, sondern bei der Lektüre des Brecht-Stücks »Herr Puntila und sein Knecht Matti«. Ich hätte es auch in Chaplins genialem Film »Lichter der Großstadt« lernen können – schlüssiger noch als in Brechts dialektischer Verfremdung. Bei Mozarts »Don Giovanni« und »Figaros Hochzeit« kann man lernen, wo die Freundschaft zwischen Herrn und Diener endet – bei beiden, Leporello wie Figaro, schon mit der ersten Arie. Aber die Faust wirkt sozusagen heimlich geballt. Hinter dem Rücken.
In den fünfziger Jahren kamen die italienischen Cafés auf, Espressos genannt, die ihre Existenz den italienischen Kaffeemaschinen dankten, und die Milchbars, in denen im Star-Mix Milchmischgetränke vor den staunenden jungen Kunden fabriziert wurden, rosafarbene Himbeer- oder Erdbeerdrinks, sanddorngelbe Getränke, zu denen junge Männer in Röhrenhosen und Kreppsohlen-Schuhen junge Mädchen in Petticoats einluden. Diese Mixer gehörten zu den Küchengeräten, die den Haushalt bald revolutionieren sollten: Kühlschränke, Waschmaschinen, Trockner, Geschirrspülmaschinen und eben Mixer sollten in den nächsten zwanzig Jahren die Hausarbeit verändern. Schwäbische Firmen wie Bosch, Linde, Bauknecht, süddeutsche wie Siemens erleichterten nach und nach das Leben der Hausfrauen und trugen bei zum Wirtschaftsboom, der Deutschland zu einem blühenden Industriestaat machte.
Ende der fünfziger Jahre kam der Werbeslogan »Bauknecht weiß, was Frauen wünschen« auf, und er hatte in Schwaben eine ironische Doppelbedeutung: Um nämlich die Küchengeräte in Deutschland erfolgreich vom Band laufen zu lassen, brauchte man Gastarbeiter und die ersten Gastarbeiter, die in der schwäbischen Industrie ihr Geld verdienten, waren Italiener, man nannte sie »Spaghettis«, »Katzelmacher«, »Itaker« und vermutete, dass sie, was »amore« betraf, eher wussten, »was Frauen wünschen«, als ihre nüchternen deutschen Kollegen. Viele Geschichten und Witze haben dieses Verhältnis zwischen den dunkellockigen, glutäugigen Pizzabäckern und Eisdielenkellnern und den frustrierten deutschen Hausfrauen festgehalten, Filme von Fassbinder und Schroeter von dieser Phase deutsch-italienischer Beziehungen erzählt.
Noch aber galten die drei Ks: »Küche, Kinder, Kirche«. Doch die sich allmählich technisierende Küche war eine Begleiterscheinung der emanzipatorischen Evolution: »Bauknecht weiß, was Frauen wünschen.« Die Frauenbewegung wandte sich zwar gegen diesen Slogan, er würde das häusliche Gefängnis der Frau nur komfortabler machen, aber immerhin war es der technische Fortschritt, der den Frauen mehr Zeit schenkte.
Von all dem wusste ich wenig, wenn ich, selten, weil ich es mir nur selten leisten konnte, mit einem Mädchen, einer Kommilitonin, die ich damals »Fräulein« nannte, bevor wir uns, nach dem ersten Kuss, duzten, in einer Milchbar vor einem aufgeschäumten Milchgetränk saß. Tübingen hatte damals etwas über zweitausend Studenten, in erdrückender (vor allem sich selbst erdrückender) Mehrheit waren das männliche Studenten, die selbst dann wenig von ihrer »Studentenbude« hatten, wenn sie »sturmfrei« war. Die »Wirtinnen«, die übrigens ungern an Studentinnen vermieteten – »die hängen ihre Nylons immer zum Trocknen ins Bad« –, wussten alle, dass es den »Kuppelei-Paragraphen« gab. Der verbot Gelderwerb durch das Ermöglichen der »Unzucht unter Unverheirateten«, und die Vermieter von Hotels und Wohnungen befürchteten, dass ihnen wegen der Begünstigung des Beischlafs ihrer Untermieter und Untermieterinnen mit dem Kuppelei-Paragraphen ein Strick gedreht werden könnte.
Kinder, Küche, Kirche – die Macht der Kirche bekam selbst der zu spüren, der sich unabhängig von religiösen Bindungen wähnte.
Die freien, ungezwungenen Gewohnheiten einer mobilen Gesellschaft, einer städtischen Jugend, die keineswegs mehr unter Kuratel
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