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Auf der Flucht

Auf der Flucht

Titel: Auf der Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hellmuth Karasek
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Bloß so. Andererseits genoss er es und wusste es sehr zu schätzen, dass ich, im Vergleich armer Schlucker, das Taxi bezahlte, wenn wir von Zeit zu Zeit zu seiner Villa fuhren.
    Der »Luft, Clavigo«-Unternehmer, der auf rührende Weise aufgrund einer Augenschwäche schielte, war mit einer Deutsch-Argentinierin verheiratet. Die Ehe muss nicht sehr gut gewesen sein und nicht immer funktioniert haben, jedenfalls ist er seiner Frau einmal nach Buenos Aires nachgereist und hat sich dort in einem Hotelzimmer (ich nehme an, es war ein Luxushotel) erhängt. Einfach so. Darauf kehrte seine Frau Mimi nach Deutschland zurück und führte das Leben in der Villa weiter. Und mit eigener Hand seine Firma.
    Kurt W, der Grafiker und Designer, war mit einer schönen jungen Frau verheiratet, die so russisch aussah, wie sie hieß, Olga. Beide, er und sie, ähnelten einander durch ihre Zähne, die zurückstanden, als würden sie in den Mund zurückgedrängt, und während er Hamburgisch sprach, sprach sie Schwäbisch. Sie war elegant, dunkles, locker hochgestecktes Haar, wunderschön unauffällig angezogen. Ich hatte immer den Eindruck, dass sie sich zu dem Klimaanlagen-Unternehmer hingezogen fühlte, nicht nur wegen des gemeinsamen Dialekts, sondern auch wegen der gemeinsamen Schüchternheit. Während er, wenn er sich erregte oder exponierte, immer stärker schielte, wurde sie rot, wenn sie sich erkühnte, witzig oder entschieden in die Debatten einzugreifen. So schön sie war, sie hatte keine schöne Stimme. Und während sie krächzte, meist sehr lustig entschiedene, kluge Sachen herauskrächzte, lief eine Röte von ihrem Gesicht über ihren Hals in ihren Ausschnitt.
    Kein halbes Jahr nachdem sich Hannes K. in Buenos Aires aufgehängt hatte, kam Kurt W. nach Hause in sein schönes Haus am Killesberg mit den vielen Trouvaillen: Pfeifen, Kunstgegenständen, Bestecken – er sammelte einfach alles. Alles, was schön war. Alles, was durch seine Sammlung schön wurde. Als er die Haustür öffnete, sah er seine Frau, zuerst ihre Beine, dann ihren Körper. Sie hatte sich erhängt. Niemand konnte und wollte mir erklären, warum. Irgendwann hat mir eine Freundin erzählt, dass Olga den Tod von Hannes K. nicht überwunden habe. Sie habe ihn sehr gemocht.
    Ehen in Philippsburg: Stuttgart war ein Kessel, der manchmal einen übergroßen Druck auf alle Beteiligten ausübte – obwohl die Vertreter der Kulturszene sich inzwischen auf die Höhenlagen zurückgezogen hatten; von dort aus blickten sie – Hanglage – in die Stadt, Weinberge ringsum, Wälder um den Fernsehturm, der architektonisch schöner war als alle die plumpen Nachfolge-Türme in anderen Großstädten. Ein Kessel mit Überdruck, doch vielleicht ist das Bild vom Fass angemessener, das überläuft, irgendwann, wenn sich die Beteiligten Tropfen auf Tropfen zugemutet, sich bis aufs Blut gequält hatten.
    So war es auch mit dem Schauspieler T. B., der einen festen fleischigen Körper hatte, ein festes fleischiges Gesicht mit einer gewaltigen Nase, einen knautschigen Mund, Lippen, zwischen denen er gewaltige Orgeltöne hervorstieß. Er hätte also zur klassischen Röhre werden können, zum Deklamationskünstler, wäre er nicht ein hochmoderner Schauspieler gewesen, der mit sich selber so umging, dass sich neben seiner Redlichkeit und Bodenschwere (er schien immer ein Lederwams zu tragen) auch eine verschlagene Brutalität und ein sich in der Stimme überschlagender Mutterwitz bemerkbar machte. In der Tat konnte er auch eitle Standbilder von Knattermimen auf die Szene stellen, man merkte, dass er psychische Abgründe in sich verdeckte, obwohl er aussah wie ein Götz von Berlichingen, ein Meister Anton aus dem Katalog.
    Er war mit einer zarten Schauspielerin verheiratet, mit der er drei Töchter hatte; sie hatte ihren Beruf für die Familie aufgegeben und sie wohnten halbhoch über der Stadt, in deren Kesselmitte das Theater lag. Da fand er oft nicht den Weg nach den Proben und Vorstellungen zu seinem Zuhause, eigentlich das Übliche. Aber über das Übliche hinaus ging sein Verhältnis mit einer Kollegin. Jedenfalls wurde die schwanger. Was sich nach der Geburt des Kindes der Geliebten in seiner Familie abgespielt hatte, kann man nur ahnen; nichts drang nach außen. Ein Jahr später wurde seine Freundin zum zweiten Mal schwanger und er gestand das seiner Frau und seinen drei Töchtern. Dann fuhr er hinunter ins Theater, in die Vorstellung.
    Am Ende der Vorstellung erreichte ihn eine

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