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Auf der Flucht

Auf der Flucht

Titel: Auf der Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hellmuth Karasek
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schon etwas länger kannte, erzählte er mir von seinem Leid, seinen Schmerzen. Er hatte sich in die Frau des Architekten verliebt, der das Stuttgarter »Kleine Haus« gebaut hatte – und viele andere Repräsentativbauten. Und es stimmte, die Frau des Architekten, viel spontaner, herzlicher, einfacher als ihr Mann, der ein saturierter, steifer Baumeister war, noch dazu von großer, zur Schau gestellter katholischer Frömmigkeit, passte auf den ersten und auch zweiten Blick besser zu Croissant, der zwar auch längst etabliert war, aber gerne noch das Enfant terrible spielte.
    Immer wieder erklärte er mir, dass sie ihn so liebe wie er sie.
    Aber zu feige sei – die »verlogene Ziege« –, ihren bigotten Ehemann zu verlassen. »Du kannscht dir nicht vorstellen, was für ein Spießer und Heuchler er ist! Du glaubscht es nicht.« Und er benutzte seinen Glatzkopf förmlich als Rammbock, um mich von der Verlogenheit dieser Ehe zu überzeugen, aus der er die Frau befreien wollte, die dies aber offenbar keineswegs wollte.
    Ich bin mir ziemlich sicher, dass es auch diese verspannte Liebesgeschichte war, die den selbst in seinen sexuellen Leidenschaften schwäbisch-puritanischen Croissant in seine Verstrickungen mit dem Terrorismus gejagt hat.
    Wie ich mir später auch sicher war, dass es die gescheiterten Beziehungen zwischen Ulrike Meinhof und Klaus Rainer Röhl, zwischen Vesper und Ensslin waren, ihre Enttäuschungen und Verzweiflungen, die sie in den Terrorismus getrieben haben. Ihre moralische Enttäuschung versuchten sie »politisch« zu verkraften. Ensslin entstammte einem schwäbisch-pietistischen Pfarrhaus.
     
    Die Apo rührt sich
     
    Die ersten großen innenpolitischen wie außenpolitischen Krisen, die wir, meine Zeitgenossen und ich, durch das Fernsehen miterlebt haben, hatten ihren Anfang in der Kuba-Krise, die mit der Ankündigung einer Blockade Kubas durch Präsident John F. Kennedy begann, während sowjetische Schiffe mit Raketenbauteilen auf die Insel Fidel Castros zufuhren. Der große Krieg zwischen den beiden Großmächten schien kaum noch vermeidbar, bevor buchstäblich in letzter Minute die sowjetische Flotte abdrehte. Wir, meine Frau und ich, saßen damals im Souterrain-Wohnzimmer vor dem kleinen Schwarzweißschirm, andere Mieter des Hauses in der Haeckestraße waren dazugekommen, denn Fernseher waren damals noch relativ rar. Ich hatte als Redakteur der »Stuttgarter Zeitung« ein »Gerät zum dienstlichen Gebrauch«. Ich kann mich nicht erinnern, dass die Kuba-Krise die deutsche Linke zu antiamerikanischen Demonstrationen auf die Straße getrieben hätte. Die Kuba-Begeisterung der Linken und auch die spektakuläre Wende, die Hans Magnus Enzensberger nach seinem Kuba-Besuch im Kursbuch vollzog, lag noch in ferner Zukunft.
    Die »Spiegel«-Affäre, wenige Tage später, Ende Oktober 1962, hat mir damals fast eine ebenso große Angst wie die Kuba-Krise bereitet. Dass der Staat, dass die Polizei die »Spiegel«-Büros im Pressehaus am Speersort in einer Nacht-und-Nebel-Aktion überfiel, wirkte wie ein Zeichen, ein böses Zeichen: Der Polizeistaat unseligen Angedenkens schien doch noch nicht endgültig dem Rechtsstaat gewichen zu sein. Augsteins Verhaftung, die illegale Verhaftung von Conny Ahlers in Spanien, das alles wirkte wie eine Affäre aus rechtlosen Zeiten, bei der der Staat brutal und scheinbar ohne gesetzliche Handhabe zuschlug. Der zarte Augstein von schweren Sicherheitsbeamten abgeführt, das waren Bilder, die in uns die Angst vor der Wiederkehr des Alten weckten – der Rechtsstaat schien in Gefahr und meine Kollegen und ich spürten das alle.
    Gleich sahen wir aber auch im Fernsehen, wie sich Studenten und Intellektuelle zum Protest formierten, mit Schildern vor dem Pressehaus aufmarschierten, Freiheit für den »Spiegel«-Herausgeber forderten. Es war eine der Geburtsstunden der Apo, der Außerparlamentarischen Opposition, die gegen das scheinbar wieder so schnell verkrustete und scheinbar unangreifbare politische Establishment auf die Straße ging: Die eben erst als Auflage für die junge Demokratie von den westlichen Alliierten geschaffene Pressefreiheit schien von der eigenen Regierung bedroht. Die saß wie autokratisch im Sattel – der inzwischen greise Adenauer war zum vierten Mal Bundeskanzler, Poppers Axiom, dass Demokratie Wechsel der Macht durch Wahlen bedeutet, schien abstrus außer Kraft gesetzt.
    Solange das Wirtschaftswunder lief, bis zur ersten Erhardschen Rezession – galt

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