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Auf der Flucht

Auf der Flucht

Titel: Auf der Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hellmuth Karasek
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furchtbare Nachricht, es war, als hätte Medea sie ihm gesandt, aber es war eben kein Theater, wo es ja laut Hamlet heißt, es werde nur »zum Spaß« gemordet. Seine Frau hatte, kaum war er aus dem Haus, versucht, sich und ihren kleinen Töchtern die Kehle durchzuschneiden. Damals wurde gerade ein Stück von Dürrenmatt gespielt, die »Physiker«, zu dem Dürrenmatt angemerkt hatte: »Eine Geschichte ist dann zu Ende erzählt, wenn sie ihre schlimmstmögliche Wendung genommen hat.« Die »schlimmstmögliche Wendung«: Die Frau und eine kleine Tochter überlebten schwer verletzt, die anderen beiden Mädchen starben mit durchschnittener Kehle.
    Der Koloss von einem Mann hat das, über die Jahre gesehen, eigentlich gut verarbeitet, er hat Karriere gemacht, wurde zum typischen Thomas-Bernhard-Schauspieler und hat sich nach Ende der Vorstellung und nach dem Applaus, wie man mir erzählte, immer in seine Kellerräume zurückgezogen, wo er eine Werkstatt hatte, in der er verbissen zimmerte und tischlerte.
    Als ich in Sonnenberg wohnte, einem Traumviertel Stuttgarts noch über und hinter dem Stadtteil Degerloch, wo die verschlungene Weinsteige aus dem Tal kam, war mein Nachbar F., ein Rennfahrer und Werkfahrer von Porsche. Wir fuhren oft gemeinsam in den Möhringer »Hirschen«, er »privat« in einem Bentley, wo es die besten Maultaschen (zum Beispiel in der Ochsenschwanzsuppe) gab und herrliche schwäbische Weine, noch aus dem Fass. F. war zum zweiten Mal (vielleicht auch zum dritten Mal) verheiratet. Seine frühere Frau war während einer Fahrt über die italienische Mille Miglia buchstäblich bei einem Unfall geköpft worden. Sein Wagen hatte sich überschlagen, als er versuchte, einem anderen, der ihm die Vorfahrt raubte, mit überhöhter Geschwindigkeit auszuweichen. Zum Gedenken veranstaltete er in seinem Swimmingpool in Sonnenberg mit seiner neuen Frau und Gästen (zu denen er mich gerne zählte) Jahre später ein Gedächtnistauchen. Seine in Italien tödlich verunglückte Frau war nämlich eine glänzende Dauertaucherin gewesen, die immer neue Zeitrekorde aufgestellt hatte. Also musste seine sehr dralle jetzige Frau, die sich einen gewaltigen Busen hochzubinden hatte, vor Gästen und vor ihm an lauen Abenden im Pool den Rekord seiner Verflossenen einzustellen versuchen. Sie tauchte und tauchte, geschafft hat sie es wohl nicht. Dafür schenkte sie ihm einen Sohn.
    In seinem Büro bei Porsche hatte er hinter seinem Schreibtisch einen gewaltigen Wandschmuck, das als Kunstwerk an der Wand befestigte Wrack eines Porsche, mit dem er einmal einen Unfall mit Totalschaden hatte, sich aber aus den Trümmern fast unversehrt hatte retten können.
    Kurz darauf wurde er beim Überholen eines Lasters so bedrängt, dass er im schweren Regen mit seinem Porsche unter die Räder des LKWs kam. Er war wohl sofort tot. Seine Frau musste nicht mehr tauchen und magerte schnell wieder auf ein ihr angemessenes Normalmaß ab. Ich war ein Nachbar, der sich ab und zu abends um sie kümmerte, ich konnte zu ihrer Villa und ihrem Pool zu Fuß hinüberstiefeln.
    Als ich schon in Hamburg wohnte, habe ich sie besucht und dabei Claus Croissant näher und besser kennen gelernt, den Baader-Meinhof-Anwalt, der schließlich in den Untergrund abwanderte. Croissant und ich saßen bei der Witwe (er hatte ihren Mann sehr gut gekannt, auch Croissant war ein Porsche-Fahrer), sie bewirtete uns mit Wein, und Croissant ließ sich ihre Fotoalben zeigen. »Schau, schau, schau!«, rief er dann erregt und zeigte auf die Bilder einer junonischen Frau, »so hat das Schwein sie gemästet.« Daneben machte er sich Sorgen, ob er Frau F.s Telefon benutzen könnte (für seine Gespräche mit seinen Mandanten im Untergrund) – ohne abgehört zu werden. Frau F. winkte verächtlich mit der Hand. Ihr war das alles völlig egal.
    Croissant, aus einer hugenottisch pietistischen Familie, war ein Theaternarr und mochte das Theater, das ich damals vertrat. Er war ein eher hässlicher junger Mann, mit rotem Gesicht und einer Haarkranzglatze, aber sein ungestümes Naturell, gepaart mit einer gewissen Rücksichtslosigkeit, verlieh ihm eine dynamische Ungezwungenheit. Als junger Anwalt in einer angesehenen Stuttgarter Kanzlei galt er als Glückspilz, gerne gesehen, gerne überall eingeladen. Er glänzte durch Charme und war ein waghalsiger Autofahrer. Büro und Junggesellenwohnung hatte er erlesen ausgestattet, er sammelte zum Beispiel Uecker, wenn ich mich recht erinnere.
    Als ich ihn

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