Auf der Flucht
Laura und mein Sohn Niko werden diese Sommer und Winter bestimmt nie vergessen, sie waren jung, sie fuhren Ski, gewannen Preise, tanzten, mein kleiner Sohn hatte den ersten Rausch. Aber dass sie das alles einem Zufall namens Bachmann-Preis zu verdanken haben, und dem Zufall, dass ihr Vater am letzten Abend die Zeit hatte, über Bord auf ein Gewitter zu schauen, das Mariawörth malerisch illuminierte, eine dramatische Sommerkulisse, wird ihnen egal sein.
An einem sonnigen Spätherbsttag holte mich Helmut Dietl am Flughafen in Nizza ab. Unter blauem Himmel wartete er in einem offenen weißen VW-Käfer auf mich, er trug einen weißen Anzug, hatte einen leicht angegrauten dunk len Bart, und man hätte die Szene gleich in einem Film von Visconti oder Bertolucci oder von Dietl verarbeiten können – der Regisseur sah aus wie seine melancholisch-verspielten, traurig verschmitzten Münchner Helden –, als hätte er sich selbst mit Helmut Fischer besetzt. Die Lebens art, die er an München beschrieb, verkörperte er auch: Nur ab und zu ging durch sein mildes Lächeln ein schmerz liches, nervöses Zucken.
Wir fuhren ins Hinterland der Cote d'Azur, wo Dietl ein kleines Haus hatte, dem man noch die Anstrengungen des Selbsterarbeiteten ansah. Neu hinzugekommen war in diesem Jahr ein Swimmingpool, aus dem der Hausherr jeden Morgen mit einem Sieb und ernster Gelassenheit Blätter und ertrunkene Insekten fischte. Ich sah ihm dabei zu. In dem Pool geschwommen sind wir nicht einmal, dazu war der Herbst wohl schon zu kühl. Und der Pool hatte noch keine Heizung.
Einmal, an einem lauen Abend, fuhren wir nach St.-Paul-de-Vence in das Künstlerlokal. An der Boule-Bahn sahen wir den uralten Yves Montand, immer noch in jeder Geste, jeder Körperdrehung, jeder Bewegung der perfekte Latin Lover, der weiß, dass die Blicke der Frauen seinen Körper bewundernd verfolgen, die der Männer neidisch. Wie er sich zur Boule-Kugel bückte, mit Blicken die Entfernung abmaß, mit der Hand die Kugel schwingend aus der Hüfte nach vorne und nach hinten pendeln ließ – ich habe eine so elegante und aggressive Verkörperung des blanken Machismo selten zuvor und selten danach wieder gesehen. Während ich dem damals gewiss schon Siebzigjährigen minutenlang zusah, fiel mir die alberne Lässigkeit ein, die er in »Let's Make Love« Marilyn Monroe gegenüber gespielt hatte – sein französischer Akzent, der auf der englischen Sprache wie ein verwegen schiefer Hut saß. Vor allem aber sah ich ihn in einem der eindrucksvollen Filme meiner Jugend, in Clouzots existenzialistischer Parabel »Lohn der Angst«. Nein, den hat das Alter nicht bezwungen, dachte ich – neidisch. Bewundernd.
Ich weiß nicht, ob es Dietl an diesem Abend einfiel – wir haben während der gemeinsamen Arbeit immer auch in Gedanken »besetzt« –, dass Götz George den Heidemann im Film spielen müsste, jedenfalls haben wir, während wir Yves Montand beim Boule zusahen, irgendwas davon geseufzt, dass Montand leider zu alt und leider zu romanisch für die Besetzung eines deutschen Felix Krull sei, auf den die Göring-Tochter fliegt wie die Gruner-und-Jahr-Verleger auf ihn hereinfallen. George hat den Hitler-Hallodri dann ideal verkörpert, schmierig, unwiderstehlich, leicht in die Jahre gekommen, da Männer zwangsläufig zu Verführern werden, weil ihnen die Zeit auf einmal davonläuft.
Am ersten Abend in Dietls Haus haben wir uns zwei Filme auf Videokassetten angeschaut, die für uns beide, unabhängig voneinander, die stilistische Voraussetzung waren, ohne die man sich dem Thema Hitler nicht nähern konnte: Es waren Chaplins »Großer Diktator« und Lubitschs »Sein oder Nichtsein«. Schauspieler-Eitelkeit als Existenzgrundlage (man spielt um sein Leben), Politik als Schmierentheater (man spielt um seine Wirkung) – wir sahen uns die Filme, zumindest Teile davon, eine Woche lang Abend für Abend an, und ich erinnere mich an den Augenblick, als Dietl – an diesem Abend hatte ich zur Entspannung als Koch angegeben und einen Tafelspitz verfertigt – plötzlich zu seiner Frau und mir sagte, nun wisse er, wie der Film heißen müsse: »Schtonk«. Ein Wort, das Chaplin in seiner lautmalerischen Parodie auf eine »Führer-Rede« gebraucht hat, es klingt jüdisch und wie »Schtunk« – »Stunk« machen –, wie ja Hitler immer auf »Stunk« aus war und auch der Skandal seiner gefälschten Tagebücher für »Stunk« in der westdeutschen Öffentlichkeit sorgte. Ich erinnere mich,
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