Auf der Flucht
habe ich die amüsierte Unterstützung Rudolf Augsteins gefunden – er war gerne ein Unruhestifter, wenn die Unruhe nur kreativ war. Als ich dann die Eröffnungspremiere des neuen Intendanten, die »Herzogin von Malfi« von John Webster, eher misslungen fand und das auch schrieb, reagierte der gekränkte Zadek mit einem bitterbösen Brief. Subjektiv völlig zu Recht, wie ich rückblickend finde: »Warum hast Du mich als Intendanten gewollt, wenn Du mich jetzt abschießt?«
Seine »Othello«-Premiere war dann einer der großen – und befreienden – Theaterskandale jener Jahre. Ein mit Schuhwichse schwarz gemalter Othello, der als schnaubend dicker Ulrich Wildgruber auf seine Desdemona (Eva Mattes) abfärbt, sie, die dabei quiekt, über die Bühne jagt und schließlich nackt über eine Wäscheleine hängt – es war ein Mord wie auf dem Campingplatz im Urlaub –, das war dem Premierenpublikum zu viel. Die Zuschauer tobten, soweit sie nicht Türen schlagend schon vorher gegangen waren. Auch mein Chefredakteur Böhme verließ mit seiner Frau ostentativ unter schnaubendem Protest die Vorstellung. Ich schrieb aus tiefer Begeisterung für diese notwendige Unruhestiftung ein glühendes Plädoyer. Für Zadek und das von ihm radikal erneuerte Theater. Am nächsten Morgen hatte Böhme in der Konferenz mit ätzendem Abscheu die Vorstellung karikierend vorgeführt – wovon ich nichts wusste. Augstein hat dann zu mir gesagt, ich hätte die Lobeshymne auf Zadek doch nur geschrieben, um Böhme zu ärgern; so etwas sagte Augstein als machiavellistischer Unruhestifter im eigenen Hause, nicht ohne diabolische Freude. Ich wies das empört zurück. Nachträglich bin ich immer noch sicher, dass mir der »Othello« gefiel, weil er mir gefiel. Aber dass er mir (auch) gefiel, weil Zuschauer wie Erich Böhme wütend die Vorstellung verlassen hatten, das weiß ich inzwischen auch.
Jetzt also fiel mein Plädoyer für »Kir Royal« vielleicht auch deshalb so heftig aus, weil der Chefredakteur Werner Funk sich so besonders blasiert von Dietls Serie distanzierte, nicht einmal wütend, sondern in der Art: »Ich hab schon größere Zwerge gesehen.«
Am Nachmittag klingelte dann mein Telefon. Helmut Dietl war dran; sicher hatte ihn der Redakteur, der die Serie vorher wohlwollend angekündigt hatte, informiert. Er habe gehört, sagte Dietl, dass mir seine Kir-Royal-Filme gut gefallen hätten. Ob ich das nicht schreiben könne, in der ARD gebe es wegen der Ausstrahlung der weiteren Folgen Ärger, da würde eine Verteidigung durch mich im »Spiegel« doch einiges helfen.
Ich bin diesem Wunsch gerne nachgekommen – auch weil ich, mit Hilfe seiner Serie, recht haben, recht behalten wollte. Kritiker sind keine Richter, sie sind Parteigänger. Wenn sie Glück haben, die einer guten Sache. Sie dürfen ihren Gefühlen freien Lauf lassen. Sie haben keinen Eid auf ein über allem schwebendes abstraktes Gesetz abgelegt. Sie dürfen auch über eine Schauspielerin gut schreiben, wenn sie sie lieben – solange sie nur überzeugt sind, dass sie wirklich gut spielt. Kritiker sind »käuflich« – durch Gefühle.
Marcel Reich-Ranickis vielleicht schönstes Buch über Kritik heißt: »Die Anwälte der Literatur«. Ich hatte mich aus Überzeugung zum Anwalt von Helmut Dietl gemacht, zwangsläufig, so möchte ich rückblickend sagen, wurde daraus eine Kollaboration. Das, was ich hier meine, lässt sich auch – ex negativo – mit einem Bonmot von Karl Kraus sagen: »Obwohl dieses Gedicht«, hat er einmal geschrieben, »offensichtlich gegen mich gerichtet ist, besitze ich die Objektivität, es einen Dreck zu nennen.«
Ich glaube, dass Autoren, Künstler, Filmemacher Unruhestifter sind, weil sie die Unruhe (die Spannungen), die sie in sich tragen, nicht unterdrücken, sondern loslassen. Auch dafür sind Schnitzler und Wedekind beredte Zeugen. Und Zadeks »Lulu« in Hamburg war der schönste Beleg dafür. Schon allein wegen dieser Aufführung hätte es sich gelohnt, für ihn zu streiten.
Als Theaterkritiker bei der »Zeit« hatte ich das, was man Einfluss nennt. Ich schrieb auch für »Theater heute« und war Juror in der Jury des Berliner Theatertreffens. Ich habe diesen Einfluss für die Gründung der Schaubühne eingesetzt, für Peymanns Theater in Stuttgart und Bochum, für Hübners Ulmer und Bremer Theater, aus dessen Zerschlagung die Truppe um Peter Stein hervorging, die über Frankfurt und Zürich nach Berlin kam und dort zur wichtigsten deutschen
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