Auf der Flucht
heiß.« Das war – unter Gleichgestimmten, Gleichgesinnten – Teamwork »at its best«.
Helmut Dietl und ich schrieben gemeinsam auf der großen Triumph-Schreibmaschine, die noch dem Vater von Patrick Süskind gehört hatte. Einer lief im Zimmer auf und ab und rauchte (wenn es Helmut Dietl war), der andere tippte mit zwei Fingern in die monströse Maschine. Schreiben war noch Handarbeit, Handwerk! Wir schrieben mit Kohlepapier, zwei Durchschläge. Die Tasten klapperten. Klappern gehört zum Handwerk. Da wir mit unseren Zeigefingern gewaltig auf das große Instrument einhackten, fielen die Punkte als Löcher aus dem Papier und dem Kohlepapier. Handwerk hat goldenen Boden.
Später dann, wir konnten ja nicht für immer in Frankreich bleiben, wurde zur Schwierigkeit, dass wir zusammen schreiben mussten und wollten, aber nicht am gleichen Ort wohnten. So war der eine oder der andere immer im Exil, in babylonischer Gefangenschaft. Ich erinnere mich noch an Spaziergänge durch den eigentlich trostlosen Einfamilienvillen-Vorort, in dem Dietl wohnte. Ich lief durch die Mittagshitze, allein, Dietl war kein Spaziergänger. Und aus allen Gärten schlugen Hunde an, wütend, ich kam mir vor wie ein aufgebrachter, gestellter Vagabund.
Als wir in Hamburg schrieben, das Wetter war besonders scheußlich, wohnte Dietl im »Interconti«, einem modernen Betonbau. Zu allem Unglück war damals in Hamburg auch noch eine Nato-Tagung und das Hotel von Militärfahrzeugen, Panzern umstellt. Dietl zeigte auf die grüngrauen Panzer im Nebel. »Hier kann ich nicht bleiben! Es geht nicht!«, sagte er. Später sollte er Hamburg lieben, auch als Drehort, hier war das »Paolino«, seine zweite Heimat – die erste war das Münchener »Romagna Antiqua«. Später habe ich den Film »Barton Fink« gesehen, den Film der Brüder Coen. Sie zeigen Drehbuchschreiber, die sich in Hollywood verlieren, Albträume von Produzenten, Stars, die den Autoren in die Drehbücher pfuschen. Am Schluss brennt das Hotel, in dem die Schreiber schreiben. Leben. Vegetieren. Erwachen aus einem Schreckenstraum. Schreiben war meine schönste Zeit. Mein Lieblings-Albtraum.
Das Problem war, dass das Schreiben länger dauerte, als ich vom »Spiegel« Urlaub bekam, auch unbezahlten. Sie sagten mir, ich solle zurückkommen oder kündigen. Eine Kündigung glaubte ich mir damals nicht leisten zu können.
Später, als Dieter Wedel zusammen mit mir einen Film machen wollte, erzählte er mir, er habe sich bei Dietl erkundigt. »Er ist gut für die Zusammenarbeit, wenn er Zeit hat. Sehr gut!« Dietl habe eine Pause gemacht und weiter gesagt: »Aber du musst sicher sein, dass er Zeit hat! Genügend! Sonst lass die Finger davon!«
»Im Quartett«
1998, das »Literarische Quartett« war zehn Jahre alt. Ich besuchte Jochen Hieber in der FAZ, um ihn zu einer gemein samen Veranstaltung abzuholen. Hieber, lange Jahre der Adlatus von Marcel Reich-Ranicki, als dieser den Literaturteil der »Frankfurter Allgemeinen« geleitet und, in der Nachfolge von Friedrich Sieburg und Karlheinz Bohrer, zum wichtigsten Literatur-Teil der deutschsprachigen Zeitungen gemacht hatte. Hieber war auch als Gast im »Quartett« (und zwar in Augsburg) aufgetreten und hatte unter anderem deshalb Aufsehen erregt, weil seine Hose hochrutschte und, da seine Socken zu kurz waren, nacktes Beinfleisch zu sehen war, eine ästhetische Katastrophe. Aufregung für einen Tag.
Es war das erste Mal, dass ich in die Kulturredaktion der FAZ kam, und durch Zufall stieß ich auf dem Flur mit dem jungen, für die Kultur verantwortlichen Herausgeber und Nachfolger Joachim Fests, mit Frank Schirrmacher zusammen. Der fragte mich, ob ich denn noch auf eine Tasse Kaffee Zeit hätte, und winkte mich in sein Büro. Schirrmacher hatte seine FAZ-Karriere, als einer der jungen Wunderknaben Fests, bei Reich-Ranicki begonnen – wie fast alle Journalisten, die in der Folgezeit im Literaturbetrieb und Rezensionsgeschäft das Sagen hatten. Reichs Redaktion galt als Kaderschmiede, er herrschte streng wohlwollend über die Jungen, die sich ihm anvertrauten und denen vor allem sein schier unversiegbarer Elan und sein allem genialischen Improvisieren abholder Ordnungstrieb den Berufserfolg und die Berufsrichtung bestimmten.
Merkwürdigerweise hatte ich Schirrmacher vorher noch nie getroffen, und so waren wir beide wohl auch neugierig, herauszufinden, wer denn der andere »eigentlich« wäre.
Ich war beim Fernsehen. Jetzt, neuerdings.
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