Auf der Flucht
Münchner Kammerspielen noch ein Angebot des Intendanten August Everding gut, er könne dort ein Stück inszenieren.
Ich war wie elektrisiert und bearbeitete den zweiten und dritten Akt; brachte die überarbeitete Fassung nach München mit, überließ ihm das Stück und sah ihn am nächsten Tag erwartungsfroh an. Er sagte nur, so habe ich es mir wortwörtlich gemerkt: »Also, das Gelbe vom Ei ist das immer noch nicht«, aber wir sollten uns für zwei Wochen zusammensetzen, um weiter an dem Stück zu arbeiten. Immerhin, dachte ich. Dann musste ich nach Klagenfurt, als Juror des Ingeborg-Bachmann-Preises.
Während des Lesemarathons rief mich Dietl an. Ich solle die Bearbeitung meiner Komödie »vergessen«, »Verzeihung!«, sagte er, »zurückstellen«, denn die Bavaria habe ihn gefragt, ob er Lust hätte, einen Film über die Hitler-Tagebücher zu drehen. Günter Rohrbach, der Bavaria-Chef, habe zusammen mit seinem Dramaturgen Ulrich Limmer alle Rechte an der Hitlertagebuch-Stern-Affäre von Konrad Kujau, dem Fälscher, erworben. »Hättest du Lust, das Drehbuch mit mir zusammen zu schreiben?«, fragte er und schlug einen Termin in München bei der Bavaria vor. Gleich in der nächsten Woche!
Natürlich war ich, ohne an die Konsequenzen zu denken, sofort hellauf begeistert, geschmeichelt, Feuer und Flamme für diesen Plan. Ich sollte, sozusagen aus dem Stand, an einem Drehbuch für einen wichtigen deutschen Film mitarbeiten, und das mit meinem Lieblingsregisseur; und auch noch bei dessen erstem Spielfilm! Mir fielen gleich bedeutende Sätze ein, während ich noch am Telefon stand (in der Hotelhalle beim »Sandwirt« im unter der Augustsonne wie in einer wohligen Lähmung glühenden Klagenfurt): Drehbuch-Autor bei einem Film, der das deutsche Thema bearbeitet; Hitler und das Verhältnis der Deutschen zu ihm; als Gauner-Komödie, als Gesellschafts- und Presse-Satire, als historische Hochstapelei, als Felix-Krull-Geschichte.
Kujaus Fälschung, so war mir damals schnell klar geworden, war eine geniale Eulenspiegelei, ein höchst satirischer Akt, eine Köpenickiade. Ich merkte schon am Telefon, dass ich das Thema aus den gleichen Motiven wie Helmut Dietl liebte – und mir gefiel natürlich, dass die traurigen Helden dieser Polit-Farce aus dem Journalismus stammten, wie Wilders »Reporter des Satans« oder »Frontpage«; wie Dietls »Baby Schimmerlos« von der Münchner »Abendzeitung«. Hals über Kopf sagte ich zu. Ich sah mich schon in Hollywood, ach was, Hollywood! Im Zentrum des deutschen Films! Der komisch aufräumen würde mit unserem komischen Verhältnis zur deutschen Vergangenheit.
Die heißen Kärntner Sommer, wohlig träge und aufregend angespannt, endeten damals seltsam stumpf für mich. Auch am letzten Abend, als wir auf einem Dampfer einen Ausflug auf dem Wörthersee machten, blieb ich allein.
Drei Tage lang waren wir von morgens bis abends damit beschäftigt gewesen, in politischer Korrektheit zu überlegen, was wir tun würden, wenn der neu gewählte Landeshauptmann Jörg Haider bei der Preisverleihung auftauchen würde – würden wir ihm die Hand geben? Wir kamen nicht in die Verlegenheit. Er war so taktvoll, seinen Stellvertreter, einen SPÖ-Mann zu schicken.
Von Klagenfurt blieb, dass ich während der Schifffahrt in lauschiger Sommernacht über die Reling blickte und plötzlich aus der schönen Sommernacht Mariawörth auftauchen sah. Das Kirchlein hell beleuchtet, der Badestrand am Hotel eine nächtlich kühlende Verheißung in warmer Nacht. Dann ging ein Gewitter nieder und aus »heißer Nacht« fielen Hölderlins »kühlende Blitze«. Wir waren an Gustav Mahlers Haus vorbeigefahren. Ich war mir auf einmal sicher: Hier, nur hier in Mariawörth wollte ich mit meiner Familie fortan die Sommerferien feiern. Es war der Entschluss eines Einsamen für seine Familie, dem sentimental das Benn-Gedicht eingefallen war:
Einsamer nie als im August: / Erfüllungsstunde im Gelände / … Wo alles sich durch Glück beweist / und tauscht den Blick und tauscht die Ringe / im Weingeruch im Rausch der Dinge –: / dienst du dem Gegenglück, dem Geist.
Fünf Jahre lang haben wir mit den immer größer werdenden Kindern wunderbare Sommer verbracht. Sie lernten Wasser skifahren und Tennis spielen und feierten die Nächte mit Gleichaltrigen durch. Und im Hotel haben wir Prospekte des Skihotels »Astoria« gesehen, wo wir anschlie ßend auch Jahr für Jahr hinfuhren, Weihnachten und Sylvester.
Meine Tochter
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