Auf der Flucht
Bühne wurde. Zur »Schaubühne«.
Später, als die Stücke der Jelinek, die Inszenierungen von Marthaler, Castorf und Einar Schleef kamen, hatte ich mich längst von der Theaterkritik abgekoppelt. Das hatte banale, praktische Gründe. Zunächst den, dass beim »Spiegel« Theaterkritik nur als Ausnahme möglich war; wir mussten Theaterabende zu richtungsweisenden oder abschreckenden Beispielen hochstilisieren, um darüber berichten zu können. Ein anderer Grund war mein Sohn Daniel, der in Stuttgart, Hamburg, Nürnberg, Darmstadt als Regisseur arbeitete – und daraus ergab sich ein Interessenkonflikt. Dazu kam, dass ich Stücke schrieb, die auch aufgeführt wurden. Das alles führte dazu, dass ich, von Ausnahmen abgesehen, keine Theater-Rezensionen mehr schrieb.
Inzwischen aber war meine Frau, zwanzig Jahre jünger als ich, Hamburger Theaterkritikerin und ihre Generation war jetzt am Theater »dran« – vor allem Marthaler und Jelinek gehörte ihre Begeisterung, die wir anfangs noch über Uli Wildgruber oder Herman Lause oder, vor allem, über Susanne Lothar teilten. Wie es sich aus Notwendigkeit oft ergibt, wuchsen andere Lieben: die zum Kino, die zur Literatur. Wie sagte mein Vater, wenn er ausdrücken wollte, ein Mädchen in seiner Jugend habe seine Liebe nicht erwidert: Eine andere Mutter hat auch ein schönes Kind.
Das Kino hatte damals besonders schöne andere Kinder. Es gab Schlöndorff, Fassbinder, Herzog, Dominik Graf, es gab Chabrol und Bertolucci, Visconti, Godard und Melville, es gab Bogdanovich, Woody Allen und Spielberg, es gab die James Bond-Filme wie »Goldfinger«, den einzigartigen Kubrick und den ebenso einmaligen Bu ñ uel, die Klüfte und Abgründe unserer Welt und unserer Innen welt grell ausleuchteten – und der »Spiegel« bot mir die groß artige Möglichkeit, lange Gespräche mit Romy Schneider oder Woody Allen, Kubrick, Spielberg oder Fassbinder, Herzog oder Wenders zu führen. Es war ein unvergessliches Erlebni s, in New York Polanskis »China town« zu sehen, mit dem Regisseur über Filme wie »Tanz der Vampire« oder »Rosemary's Baby« zu sprechen. Ich durfte bei Dreharbeiten auf dem Set sein und darüber berichten – es war eine Zeit, die die Grenzen zwischen E-Kultur und U-Kultur für mich endgültig aufhob.
Nach »Kir Royal« pausierte Dietl, er hatte das Glück, sich durch Werbefilme gut im Geschäft zu wissen – es war übrigens Kubrick, der mir erzählte, er lasse sich amerikanische TV-Werbungen nach England kommen, bei der Werbung sei nämlich genügend Geld vorhanden, und so könnten die Werbefilme wirklich schöpferisch und verschwenderisch alle neuen Möglichkeiten von Kamera, Schnitt und Trick ausschöpfen.
In der Zeit gab ich Dietl meine beiden Komödien zu lesen und er fand, ich könne Dialoge schreiben. Allerdings hapere es mit dem Plot. Ich schickte ihm nach den beiden Texten der schon aufgeführten Stücke mein neuestes, das ich als eine Art komische Glosse zur Barschel-Affäre zu schreiben begonnen hatte. Es ging um eine moderne »Reigen«-Version, um einen Politiker in Hamburg (die Stadt wählte ich, weil ich sie kannte, zu kennen meinte), der seiner Frau gegenüber vorgibt, er müsse für seine Partei zu einem Europa-Kongress nach Rom, über das Wochenende. Um glaubwürdig zu sein, schmückt er die Fakten der Reise realistisch aus, Flugzeit und Flugnummer. In Wahrheit lässt er das Taxi im gleichen Viertel abbiegen und besucht eine junge Lyrikerin in ihrer Wohnung, um ein erstes Wochenende mit ihr zu verbringen. Beide sind eher arme Kreaturen, die sich eine Liebe vorgaukeln, die – siehe Schnitzler – nicht einmal für das »Danach« reicht, wenn die Enttäuschung sich breit macht. Beide zelebrieren voreinander Eitelkeit als Bewunderung; er gibt vor, die Rezitation ihrer Gedichte zu genießen; sie schmeichelt ihm, indem sie sagt, wie sehr sie es schätze, dass er ihretwegen einen so wichtigen Kongress in Rom habe sausen lassen.
Pech für die beiden: Das Flugzeug, das er angeblich nach Rom genommen hat, wird entführt. Von nun an ist er der Gehetzte. Ich hatte übrigens aus dem Politiker, um nicht die üblichen politischen Klappen fallen zu lassen, einen SPD-Politiker gemacht.
Dietl mochte den Grundeinfall, die Ausgangssituation, den ersten Akt. Allerdings, sagte er, sei die weitere Entwicklung des Stücks schlampig, da müsse ich noch dran arbeiten, vielleicht könnten wir das auch zusammen machen. Er habe seit seiner Regieassistentenzeit an den
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