Auf der Flucht
aus den Fin-de-Si è cle-Salons des vorvorletzten Jahrhunderts: den Proust'schen Fragebogen. Dessen Antworten, die meist eher witzig als ehrlich gemeint sind und also, ähnlich dem Witz, ihre Wahrheit scheinbar verbergend offenbaren, sind, wenn man so will, auch eine Form der Auto biographie, weil wir – wir wissen es nicht erst seit Freud –, auch wenn wir lügen, die Wahrheit sagen, und auch wenn wir uns zu verstecken meinen, uns offenbaren. Die Verhüllung ist auch eine Enthüllung; die Maskerade auch eine unfreiwillig-freiwillige Demaskierung.
Auch im Begriff des »Fragebogens« spiegelt sich für mich eine ernste historische Reminiszenz. Im Zuge ihrer Entnazifizierungsverfahren haben die amerikanischen Besatzungsmächte in ihrer Zone Fragebogen verteilt, deren ehrliche überprüfbare Beantwortung dann der Einstufung der Erwachsenen, beispielsweise als »Mitläufer«, diente. Ernst von Salomon, einem der Rathenau-Attentäter, hat die episch breite Beantwortung dieses »Fragebogens« zu seiner Autobiographie genutzt. Sie wurde durch ihre trotzige bis unbelehrbare Haltung – Mannesmut vor Besatzerthronen – ein Bestseller der Nachkriegsjahre. Ende der Abschweifung. Ich habe den Fragebogen im September 1992 beantwortet.
FRAGEBOGEN
F AZ Magazin September 1992
Hellmuth Karasek
Journalist
Der Fragebogen, den der Schrif t steller Marcel Proust in seinem Leben gleich zweimal ausfüllte, war in den Salons der Vergangenheit ein beliebtes Gesellschaftsspiel. Wir spielen es weiter: heitere und heikle Fragen als Herausforderung an Geist und Witz.
Als eine Art Lessing, der nicht nur Kritiken schreibe, sondern auch Dramen, stellte ihn Marcel Reich-Ranicki beim »Literarischen Quartett« vor. Hellmuth Karasek ist ein in vielen Medien präsenter Mann. Der wortgewandte Plauderer und Debattierer schrieb Bücher über Sternheim, Frisch und Brecht, eine Biographie über Billy Wilder, bescherte dem Theater drei Boulevardstücke und lockte den scheuen »Mister Manhattan« Woody Allen vor die Fernsehkamera. Vor allem amüsiert er »Spiegel«-Leser mit frechen Kritiken, egal, ob er seinen Witz am neuesten Bond, dem »sprachlosen Schwätzer« Kohl oder dem »Gemein platzhirsch« Hochhuth erprobt. Karasek genießt den Ruf, in seinen Texten mehr Pointen unterbringen zu können als jeder seiner Kollegen. Die journalistische Karriere des am 4. Januar 1934 in Brünn geborenen Multitalents verlief geradlinig. Nach dem Studium ging der promovierte Germanist zur Stuttgarter Zeitung und wurde 1966 – nach einem Abstecher zum Theater als Dramaturg – Leiter des Feuilletons. 1968 wechselte er als Theaterkritiker zur »Zeit«, 1974 als Kulturchef zum Nachrichtenmagazin »Der Spiegel«, wo er seit dem vergangenen Jahr von Redaktionspflichten befreit ist. Seine Vorlieben und Abneigungen hat der Journalist immer flott auf den Punkt gebracht. Er polemisierte gegen das Fassbindersche »Fleck fieber« – »eine flache Handlung wird auch durch den ständigen Wechsel von Hell und Dunkel nicht tiefer« –, pries aber »Kir Royal«- und »Schtonk«-Regisseur Helmut Dietl und hob Billy Wilder a ls »k.u. k.-King von Holly wood« in den Komödienolymp. Als der Kritiker Karasek 1985 unter die Stückeschreiber ging und sich als Daniel Doppler einen zweiten Namen machte, tat er sich selbst einen Gefallen. Zum Lachen taugen seine Boulevardkomödien allemal, auch wenn die Inszenierungen den kunstvollen Konversationswitz nicht zum Zünden brachten. Was den Autor nicht wundert: »Natürlich tut man sich sehr schwer in allen Ländern der Erde, wenn man etwas vermeintlich Anspruchsloses macht.«
Was ist für Sie das größte Unglück: Hosen ohne Hosenträger.
Wie möchten Sie leben: In Saus und Braus.
Was ist für Sie das vollkommene irdische Glück? Immer der Augenblick davor.
Welche Fehler entschuldigen Sie am ehesten? Leider die eigenen.
Ihre liebsten Romanhelden? Alle traurig-komischen Nachkommen Don Quixotes, alle pfiffig-dummen Verwand ten Schwejks.
Ihre Lieblingsgestalt in der Geschichte? Ludwig I I von Bayern.
Ihre Lieblingsheldinnen in der Wirklichkeit? So gut wie jede Frau, die ich kenne.
Ihre Lieblingsheldinnen in der Dichtung? Emma Bovary, Effi Briest, Anna Karenina.
Ihre Lieblingsmaler? Botticelli, Klimt, Schiele
Ihr Lieblingskomponist? Dem Namen nach: Busoni – der Musik nach: Mozart und Cole Porter.
Welche Eigenschaften schätzen Sie bei einem Mann am meisten? Charme, Witz, Intelligenz.
Welche
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