Auf der Silberstrasse 800 Kilometer zu Fuss durch die endlosen Weiten Spaniens
der Klöster und Adelspaläste. Enge Gassen mit weißen Mauern, in die die prächtigen gelb umrahmten Portale der vornehmen Häuser eingeschnitten sind, der Palast „las Dueñas“ des Herzogs von Alba aus dem 15.-16. Jahrhundert, das Kloster Santa Isabel, weiß gemauert mit mächtigem barocken Tor, die Basilika la Macarena mit der Mater Dolorosa, der Schmerzensreichen von Sevilla, die der Mittelpunkt der Osterprozession in den frühen Morgenstunden des Karfreitags ist und über 2000 Büßende aus der Bruderschaft der Nazarener, eingehüllt in lange Mönchsgewänder, ihr Geleit geben.
Soviel Kunst, Kultur und Rummel machen mich ganz fertig. Froh bin ich, mich mit meinem alten Pilgergefährten Georg, mit dem ich 1997 –2000 den Camino Francés gewandert bin, und seiner Frau Ulla, die beide mit mir nach Sevilla geflogen sind, auf ein stilles weißes Plätzchen im Stadtviertel Santa Cruz unter weißen Sonnenschirmen zum Abendessen zu treffen. Wir sitzen auf wackligen, geflochtenen Holzstühlen wie in Griechenland, essen kalten Spargel mit Mayonaise, Gambas al Ajillo, heiß und scharf mit viel Knoblauch, und trinken dazu eine kühle Sangría. Nebenan im Convento de las Venerables Sacerdotes – dem Konvent der ehrenwerten Priester – ist ein Empfang, die Kellner aus dem Nachbarlokal tragen unermüdlich Sekt und Tapas durch das große Tor, aus dem später lachend und scherzend die ehrenwerten Gäste mit ihren Frauen schreiten. Ein großer Tag, ein großer Auftakt, morgen werde ich der großen Welt entfliehen und in die kleine Welt der Jakobspilger eintreten.
Itálica
Freitag, der 5. Mai,
von Sevilla nach Guillema, 22,8 km
1.Wandertag
Ich habe die Nacht nicht gut geschlafen, zu aufgeregt war ich vor dem 1. Tag meiner Pilgerreise. Um sechs Uhr stehe ich auf, draußen ist es noch stockfinster, packe meinen Rucksack so, wie ich gestern abend alles zurecht gelegt habe, packe wieder aus, wieder ein, noch fehlt mir die Routine. Endlich ist alles drin, 15 Kilo sind doch ein bißchen schwer mit Wasser, Wein, Schinken, Brot, Käse für das Picknick. Es wird schon gehen. Gezahlt habe ich mein Hotel gestern Abend, die Straßen sind noch leer um diese frühe Zeit. Gegenüber der Kathedrale finde ich eine Bar, die schon geöffnet hat so früh am Morgen, ein Café Solo, ein Croissant, ein Wasser, mehr brauche ich nicht am Morgen, es beginnt zu dämmern, der Tag beginnt spät hier im äußersten Westen Europas.
Ich kreuze den Guadalquivir auf breiter Brücke, von links kommen zwei Pilger, Deutsche mit Rucksäcken und Wanderstöcken. Wir grüßen uns kurz, wir sollten uns nun immer wiedersehen auf der ersten Etappe des Weges. Ein letzter Blick zurück, die Giralda und die Kathedrale mit ihren hunderten von Fialen und Türmchen sticht wie ein schwarzer Scherenschnitt in das zarte Orange des aufdämmernden Morgens. Guadalquivir ist ein arabisches Wort. Es bedeutet „Großer Fluß“ – Guad-al-qibir. Davor hieß der Fluß Betis, nach ihm benannten die Römer die Region Betica mit der Hauptstadt Córdova und mit Sevilla – Hispalis – wie sie es nannten.
An einer Hausecke entdecke ich die erste Wandfliese mit dem Muschelzeichen, gelb auf blauem Grund, ich bin auf dem rechten Weg, der Via de la Plata, der Silberstraße. Auch so ein arabisches Wort, das die Mauren, die die alte Römerstraße nach ihrer Eroberung „Ball’latta“ – breiter, gepflasterter Weg – nannten und das später vulgarisiert zu „Plata“ wurde, was im Spanien Silber heißt. Mit Silber hat diese Straße nämlich nichts zu tun. Die Römer hatten diese wichtige Nord-Süd Verbindung in der Tradition ihrer Militärstraßen, die ganz Europa durchzogen, gebaut, um wertvolle Metalle wie Gold, Kupfer und Zinn, die sie im Norden der Iberischen Halbinsel abbauten, auf diesem Wege in den Süden zu transportieren und von Sevilla nach Rom zu verschiffen. Aber eben kein Silber. Allerdings ist diese Straße noch viel älter, denn die Römer bauten die Wege aus, die schon vor ihnen benutzt wurden. In vorrömischer Zeit waren es zunächst steinzeitliche Jäger der so genannten Keltiberer, die auf diesen Wegen den jahreszeitlichen Wildwechseln folgten, und später die ersten Hirten, die ihre Herden von den Sommerweiden der nordkastilischen Hochebene in die Winterquartiere der tiefergelegenen Extremadura führten und umgekehrt, die so genannte Transhumanz, eine Tradition, die noch heute fortlebt. Ich werde diese Schaftriften – die so genannten Cañadas – später
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