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Auf der Silberstrasse 800 Kilometer zu Fuss durch die endlosen Weiten Spaniens

Auf der Silberstrasse 800 Kilometer zu Fuss durch die endlosen Weiten Spaniens

Titel: Auf der Silberstrasse 800 Kilometer zu Fuss durch die endlosen Weiten Spaniens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Westrup
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Vergangenheit, die immerhin 500 Jahre dauerte, die engen Gassen zeichnen den Grundriß der schattigen Kasbah nach, auf den malerischen kleinen Plätzen sprudeln Springbrunnen, von Orangenbäumchen umgeben. Die Häuser sind weiß gestrichen, durch die Tore blickt man in verwunschene Innenhöfe, von Arkaden auf schmalen Säulen umrahmt. Hier lebt die römische Villa wieder auf, wo der Wasserbrunnen in den Gartenhöfen Kühle bot, die fensterlosen Räume sich mit großen Flügeltüren auf den Hof öffneten. Sevilla – 2000 Jahre Kultur. Hier beginnt das, was ich auf meinem ganzen langen Weg durch dieses Spanien immer wieder antreffen sollte, die Tradition einer Kultur, die von den Römern über die Mauren bis in unsere Zeit ausstrahlt. Ich kann mich nicht satt sehen an all den Köstlichkeiten der Architektur – Palästen, Kirchen, Gassen und Plätzen – und doch weiß ich, daß ich nicht bleiben kann. Morgen beginnt mein großer, langer Weg, Sevilla ist nur der Beginn. Diese Stadt ist ein Rausch, doch morgen beginnen die Einsamkeit und die Entbehrung des Weges, den ich gewählt habe.
    Stunden noch hätte ich bleiben können in diesem Märchen mit seinen plätschernden Brunnen, seinen duftenden Blüten, seinen singenden Vögeln in den schwingenden Zweigen, einen Traum träumen von Scheherazade und dem Kalifen, den stolzen Spaniern mit ihren Señoritas, doch der Trubel der anbrandenden Massen, die dieses Märchen überschwemmen mit ihren Kameras, ihren lärmenden Kindern, ihrem Gelächter und Geschrei treibt mich hinaus. Ich suche Ruhe in der stillen Kathedrale, die aber längst kein stiller Ort mehr ist wie vor zwei Stunden. Jetzt stauen sich die Schlangen vor dem Eingang an der Puerta de los Príncipes, dort wo die Giralda steht, eine Nachbildung der Bronzefigur auf der Spitze des Glockenturms, nach dem diese genannt ist, eine Statue in klassisch römischem Gewand, in der einen Hand einen Schild und in der anderen eine Palme tragend. Genannt wird sie vom Volksmund „il giraldillo“, vom Spanischen „girar“ für drehen.
    Eine halbe Stunde brauche ich, um mich mit der Schlange in die Kirche zu bewegen – welch eine andere Welt! Wo vor zwei Stunden noch die Gebete der Priester im mystischen Halbdunkel schwangen, tobt nun die gleiche Menge wie im Palast der Könige. Goldhell ist die Kirche erleuchtet, nun erst erkenne ich die vielen Bilder und Altäre in den Nischen, bestrahlt vom Licht der Scheinwerfer, das Chorgitter ist geschlossen, die Bänke sind leer, die Priester haben den Raum längst verlassen, alle vorhin noch verschlossenen Türen sind nun geöffnet, ein unablässig schwatzender und fotografierender Menschenstrom treibt mich durch die ehrwürdigen Räume der Sacristía, die Sala Capitular, den Patio del Cabildo, spuckt mich aus in die Capilla de San Pablo und in die des San Pedro und hinauf auf die Giralda, das einstige Minarett der Moschee, das der von Hernán Ruiz II. im Jahr 1568 entworfene Glockenturm bekrönt, den die Spanier zum Zeichen ihres Triumphes auf den maurischen Turm pfropften.
    Eine schräge Rampe steigt von Geschoß zu Geschoß, der Kalif soll der Überlieferung nach den Turm zu Pferde erklommen haben, jeder Absatz hat eine Nummer, damit man weiß, wie hoch man ist. Hier stauen sich die Menschenmassen, die ein wollen hinauf, die anderen hinunter, nichts geht mehr, Kinder schreien, Männer brüllen, Frauen kreischen, oben zwischen den Säulen versucht jeder, einen Blick oder ein Foto auf die alte Stadt mit ihren roten Dächern und den engen, weißen Gassen zu erhaschen. Tourismus ist Kampf um jeden freien Platz. Warum ständig in den Gruppen einer eine witzige Bemerkung macht und die anderen laut schallend lachen, bleibt mir ein Rätsel. Die Größe der Vergangenheit, der Schauder der Geschichte, die Schönheit der Kultur, alles wird zu einem Gaudi: ein reiner Spaß und ein Foto fürs Erinnerungsalbum. Mir schmeckt das nicht, die Kinder rennen die Rampe kreischend im Wettlauf hinunter, ich treibe hinaus, raus aus soviel Lärm und Hetze, erst der stille Patio de las Naranjas – der Orangenhof – mit seinen 66 Bäumchen und seinem Springbrunnen im Zentrum, das zweite Überbleibsel von der Moschee, läßt mich zur Ruhe kommen. Ich wünsche mir den Kalifen auf seinem Schimmel herbei, mit gezücktem Krummschwert die Rampe herabstürmend und diese ganze respektlose Meute aus seiner Moschee treibend.
    Nachmittags bummele ich entspannt und in Ruhe gelassen durch „la Macarena“, dem Viertel

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